Wenn jedes Teilchen zählt
Umfassende Verfahrensleitlinie zur Mikroplastik-Extraktion aus Umweltproben entwickelt
IOW / K. Enders
Ob am Ostseestrand, im Schlamm heimischer Klärwerke, auf unseren Äckern oder im arktischen Eis, in Sahara-Staub und Tiefsee-Sedimenten – überall haben Forscher bereits Mikroplastik nachgewiesen. Die künstlichen Partikel werden nicht in natürlichen Kreisläufen zersetzt, sondern verbleiben permanent in der Umwelt. Seit das Phänomen vor rund 20 Jahren in den Fokus der Wissenschaft geriet, wurde eine Vielzahl von Probennahme-, Extraktions- und Analysemethoden entwickelt und kontinuierlich verbessert, um höhere Genauigkeiten zu erreichen und die Verfahren an die unterschiedlichsten Proben und die große Bandbreite verschiedener Plastikarten anzupassen.
„Hier zeigt sich eines der großen Probleme der Mikroplastik-Forschung“, hebt Prof. Matthias Labrenz hervor. Er leitet die IOW-Arbeitsgruppe „Umweltmikrobiologie“, die sich seit vielen Jahren mit Mikroplastik in der Meeresumwelt beschäftigt. „Um besser zu verstehen, was die Mikroplastik-Verschmutzung für verschiedene Ökosysteme bedeutet, ist zum einen eine zuverlässige Erfassung auch der kleinsten Teilchen wichtig – unabhängig davon, wie die Probe beschaffen ist und um welche der vielen verschiedenen Plastiksorten es sich handelt“, so Labrenz weiter. „Zum anderen müssen die Ergebnisse verschiedener Studien vergleichbar sein“, ergänzt Kristina Enders, die sich in ihrer Doktorarbeit im Rahmen der Arbeitsgruppe intensiv mit Fragen rings um den Nachweis der synthetischen Partikel in Umweltproben befasst. Insbesondere die Vergleichbarkeit sei aber bei der Vielfalt der Verfahren oft nicht möglich, erklärt Enders. Dazu komme, dass viele Nachweismethoden so aufwändig sind, dass ein großer, aussagekräftiger Probendurchsatz oft nicht realisierbar ist. „Schließlich suchen wir die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen, wenn wir winzigste Partikel – häufig weit kleiner als 1 Millimeter und mitunter durch Biofilme maskiert – unter massenhaft anderen natürlichen Partikeln aufspüren wollen, die sehr unterschiedliche chemische und physikalische Eigenschaften haben können“, so die IOW-Forscherin.
Kristina Enders setzte sich daher zusammen mit weiteren Kollegen der AG „Umweltmikrobiologie“ zum Ziel, für vier gängige Typen von Umweltproben – Wasser, Gewässersedimente, Klärschlamm und Ackerboden – eine umfassende Methodenübersicht und Verfahrensleitlinie in Form eines „Entscheidungsbaumes“ zu entwickeln, die je nach Beschaffenheit der jeweiligen Probe modulare Verfahrensschritte zu einem passenden Workflow verbindet. Dazu sichteten sie eine Vielzahl bereits existierender Methoden zur Mikroplastik-Extraktion, identifizierten „Best Practice“-Verfahren, optimierten einzelne Verfahrensschritte oder ergänzten neue, die zuvor gründlich validiert wurden.
Man habe sich dabei an folgenden Kriterien orientiert, erläutert Enders: „Um in Standardlabors routinemäßig eine Auftrennung von Plastikpartikeln und natürlichen Probenanteilen durchführen zu können, muss die jeweilige Methode schnell, einfach, kostengünstig, effektiv, robust und sicher sein – ein sogenanntes QuEChERS-Verfahren (kurz für Quick, Easy, Cheap, Effective, Rugged, Safe). Zudem haben wir bei der Erarbeitung der einzelnen Module darauf geachtet, dass sie an unterschiedliche Probengrößen optimal angepasst werden können und sich für Mikroplastikpartikel von 0,01 bis 5 Millimeter Größe eignen“, führt die Erstautorin zum Ansatz der kürzlich veröffentlichten Methodenübersicht aus.
Für die Extraktion von Partikeln kleiner als 0,5 Millimeter wurden besonders schonende Verfahren ausgewählt bzw. neu entwickelt, bei denen natürliche organische oder mineralische Probenbestandteile zuverlässig entfernt werden, die synthetischen Plastikteilchen aber trotz chemischer oder physikalischer Behandlung erhalten und damit nachweisbar bleiben. Ein solch schonendes, am IOW eigens für Proben mit vielen mineralischen Sedimentpartikeln entwickeltes Auftrennungsverfahren ist die Dichteseparation mittels „Förderschnecke“ in einem mit Schwerelösung gefüllten Scheidetrichter.
„Mit jedem Fortschritt in der Mikroplastik-Forschung hat sich gezeigt, wie komplex und oft unübersichtlich allein schon das Feld der Nachweis-Methodik ist“, sind sich Kristina Enders und Matthias Labrenz einig. „Mit unserer Übersicht über besonders gute Methoden und dem Entscheidungsbaum wollen wir Mikroplastik-Forschenden weltweit eine Orientierungshilfe geben und die dringend nötige Methoden-Standardisierung vorantreiben. Denn nur wenn wir die Effizienz unserer Studien deutlich erhöhen und dafür sorgen, dass sie auch wirklich vergleichbar sind, werden wir zu belastbaren Aussagen über die Umweltbelastung durch Mikroplastik und mögliche Lösungsansätze kommen“, so ihr abschließender Kommentar.