Momentaufnahmen von explodierendem Sauerstoff

Neue Experimentiertechnik mit Reaktionsmikroskop ermöglicht das „Röntgen“ einzelner Moleküle

11.06.2020 - Deutschland

Seit mehr als 200 Jahren nutzen Menschen Röntgenstrahlen, um ins Innere der Materie zu schauen. Dabei dringen sie zu immer kleineren Strukturen vor – vom Kristall bis zum Nanopartikel. Jetzt ist Physikern der Goethe-Universität im Rahmen einer großen internationalen Kollaboration am Röntgenlaser European XFEL in Schenefeld bei Hamburg ein qualitativer Sprung gelungen: Mit einer neuen Experimentiertechnik können sie erstmals auch einzelne Moleküle wie Sauerstoff „röntgen“ und sich ihre Bewegung im Mikrokosmos anschauen.

Till Jahnke, Goethe University Frankfurt

Während der Sauerstoff-Explosion: Durch den Röntgenlaser XFEL wurden Elektronen aus den beiden Atomen des Sauerstoffmoleküls herausgeschlagen und der Aufbruch des Moleküls initiiert. Der Röntgenlaser löst während der Fragmentierung ein weiteres Elektron aus dem einen der beiden nun geladenen Sauerstoffatome (Ionen) aus einer inneren Schale. Das Elektron hat Teilchen- und Welleneigenschaften, und die Wellen werden am anderen Sauerstoff-Ion gebrochen. Das Brechungsmuster erlaubt es, das Auseinanderbrechen des Sauerstoffmoleküls in mehreren Schritten zu beobachten (Electron-Diffraction-Imaging).

„Je kleiner das Teilchen, desto größer der Hammer.“ Diese Regel aus der Teilchenphysik, die mit riesigen Beschleunigern ins Innere der Atomkerne schaut, gilt auch für diese Forschungsarbeit. Um ein zweiatomiges Molekül wie den Sauerstoff „röntgen“ zu können, braucht man extrem starke und ultrakurze Röntgenpulse. Solche liefert der 2017 in Betrieb gegangene European XFEL, eine der stärksten Röntgenquellen der Welt..

Um einzelne Moleküle zu belichten braucht man außerdem eine neue Röntgentechnik: Mithilfe der extrem starken Laserpulse raubt man dem Molekül innerhalb kürzester Zeit zwei fest gebundene Elektronen. Dadurch entstehen zwei positiv geladene Ionen, die aufgrund der elektrischen Abstoßung explosionsartig auseinanderfliegen. Gleichzeitig macht man sich zunutze, dass Elektronen sich auch wie Wellen verhalten. „Man kann sich das wie bei einem Echolot vorstellen“, erklärt Projektleiter Prof. Till Jahnke vom Institut für Kernphysik. „Die Elektronen-Welle wird während der Explosion am Molekülgerüst gebrochen. Wir haben das entstehende Brechungsmuster aufgenommen. So konnten wir das Molekül quasi von innen durchleuchten und ihm in mehreren Schritten beim Aufbruch zuschauen.“

Für diese als "Electron-Diffraction-Imaging" bezeichnete Technik haben die Physiker am Institut für Kernphysik über mehrere Jahre die dort erdachte COLTRIMS-Technik (die oftmals auch als „Reaktionsmikroskop“ bezeichnet wird) weiterentwickelt. Unter Leitung von Dr. Markus Schöffler wurde eine entsprechende Apparatur im Vorfeld für die Anforderungen am European XFEL angepasst und im Rahmen einer Doktorarbeit von Gregor Kastirke entworfen und verwirklicht. Beileibe keine einfache Aufgabe, wie Till Jahnke feststellt: „Wenn ich ein Raumschiff entwerfen müsste, um mit diesem heil zum Mond und zurück zu fliegen, würde ich definitiv Herrn Kastirke in meinem Team dabeihaben wollen. Ich bin sehr beeindruckt, was er hier geleistet hat.“

Das Ergebnis, das in der aktuellen Ausgabe der Physical Review X publiziert wurde, ist ein erster Nachweis dafür, dass diese Experimentiermethode funktioniert. Künftig könnten damit photochemische Reaktionen einzelner Moleküle durch solche zeitlich hoch aufgelösten Bilder untersucht werden. Zum Beispiel ließe sich die Reaktion eines mittelgroßen Moleküls auf UV-Strahlung in Echtzeit beobachten. Zusätzlich handelt es sich um die ersten Messergebnisse, die seit der Inbetriebnahme der Small Quantum Systems (SQS)-Experimentierstation am European XFEL Ende 2018 veröffentlicht wurden.

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