Eine neue Theorie für Halbleiter aus Nanokristallen
Eigenschaften eines Nanokristall-Halbleiters berechnen, noch bevor er hergestellt wird
ETH Zürich / Nature Communications
ETH Zürich
Seit einigen Jahren kann man Fernsehapparate kaufen, in denen mit QLED-Technologie brillante Farben erzeugt werden. Das «Q» steht dabei für «Quantenpunkt». Quantenpunkte sind wenige Nanometer grosse Kristalle eines Halbleitermaterials, die aus einigen tausend Atomen bestehen. Diese Nanokristalle sind so winzig, dass die Elektronen in ihnen nur wohldefinierte quantenmechanische Energiezustände einnehmen können; werden die Quantenpunkte von der Hintergrundbeleuchtung des Fernsehmonitors angestrahlt, so wird durch Quantensprünge zwischen diesen Zuständen Licht einer bestimmten Farbe ausgesandt.
In der nächsten Generation von QLED-Fernsehapparaten hofft man, die Quantenpunkte mit elektrischem Strom direkt zum Leuchten zu bringen anstatt über eine Hintergrundbeleuchtung. Dazu fehlte allerdings bisher das theoretische Verständnis davon, wie Strom durch einen dünnen Film aus Nanokristallen geleitet wird. Forscher am Departement Informationstechnologie und Elektrotechnik der ETH Zürich haben nun unter Leitung von Vanessa Wood diese Lücke geschlossen, wie sie im Fachjournal Nature Communications berichten.
Eher Matratze als Tischplatte
Wie Strom durch Halbleiter fliesst, die nicht Nanometer-Grösse haben, weiss man schon seit mehr als neunzig Jahren, und es gibt spezielle Software, mit der man ihr Verhalten modellieren kann. Industriell können die elektronischen Eigenschaften von Halbleitern durch gezielte Beigabe von Fremdatomen – das Dotieren – kontrolliert werden, wodurch sich die Anzahl von freien Ladungsträgern (Elektronen) ändert. Bei Halbleitern dagegen, die aus vielen kleinen Nanokristall-Quantenpunkten bestehen, sind diese Methoden nicht so einfach anwendbar.
In Nanokristallen führt die Beimischung von Fremdatomen nicht unbedingt zu freien Ladungsträgern. Zudem verhalten sich freie Ladungen nicht in der gleichen Weise. «Ladungsträger in normalen Halbleitern bewegen sich wie Kegelkugeln, die auf einer glatten Tischplatte rollen, während sie sich in einem Nanokristall-Material eher wie Kugeln auf einer weichen Matratze verhalten – sie sinken ein und verformen sie», veranschaulicht Wood das Problem.
Anspruchsvolle Modellierung
Für die theoretische Modellierung bedeutet dies, dass man die Atome im Kristallgitter des Nanokristall-Halbleiters nicht einfach als ruhende Punkte betrachten kann, wie dies für normale Halbleiter in der Regel getan wird. «Stattdessen mussten wir jedes der insgesamt mehreren hunderttausend Atome in den vielen Nanokristallen des Materials einzeln mathematisch beschreiben, und wie jedes dieser Atome mit den Ladungsträgern wechselwirkt», erklärt Nuri Yazdani, der in Woods Arbeitsgruppe als Doktorand gearbeitet hat und Erstautor der nun erschienenen Studie ist.
Im Swiss Supercomputing Centre CSCS in Lugano liess er ein komplexes Computerprogramm laufen, in dem alle Details des Problems – die Bewegung der Elektronen und der Atome sowie die Wechselwirkungen zwischen ihnen – berücksichtigt wurden. «Insbesondere wollten wir verstehen, wie Ladungsträger sich zwischen den einzelnen Nanokristallen fortbewegen und warum sie ‘gefangen’ werden und nicht mehr weiterkönnen», sagt Yazadani.
Die Ergebnisse dieser Computersimulationen waren sehr aufschlussreich. Entscheidend dafür, wie ein Material aus vielen Nanokristallen elektrischen Strom leitet, sind demnach von den Elektronen hervorgerufene kleinste Verformungen der Kristalle von nur wenigen Tausendstel Nanometern, die zu einer grossen Änderung der elektrostatischen Energie führen. Wenn eine Ladung das Material verformt, wird dies auch als Polaron bezeichnet, und nach Yazdanis Simulationen fliesst zwischen den Nanokristallen Strom, indem Polaronen von einem Nanokristall auf das nächste überspringen.
Ein Modell für alles
Das Modell erklärt, wie sich die elektronischen Eigenschaften des Nanokristall-Halbleiters ändern, wenn man die Grösse der Nanokristalle und ihre Packungsdichte im Film variiert. Um die Vorhersagen ihrer Simulationen zu prüfen, stellte das Forscherteam dünne Filme aus Nanokristallen im Labor her und mass deren elektrische Reaktion auf verschiedene elektrische Spannungen und Temperaturen. Dazu erzeugten sie mit einem kurzen Laserpuls an einem Ende des Materials freie Elektronen und beobachteten, wann diese am anderen Ende ankamen. Das Ergebnis: In jedem der mehreren hundert verschiedenen Tests sagte die Computersimulation die elektrischen Eigenschaften perfekt voraus.
«Nach acht Jahren intensiver Arbeit haben wir damit ein Modell geschaffen, das nicht nur unsere Experimente, sondern auch die von vielen anderen Forschungsgruppen über die vergangenen Jahre endlich quantitativ erklärt», sagt Wood. «Ein solches Modell wird es Forschern und Ingenieuren in Zukunft ermöglichen, die Eigenschaften eines Nanokristall-Halbleiters zu berechnen, noch bevor er hergestellt wird.» Dadurch sollte es etwa möglich sein, solche Materialien für bestimmte Anwendungen zu optimieren. «Bis jetzt musste man das durch Versuch und Irrtum tun», fügt Wood hinzu.
Mit Hilfe der Ergebnisse der ETH-Forschern könnten in Zukunft aus Nanokristall-Materialien nützliche Halbleiter für verschiedenste Anwendungen in Sensoren, Lasern oder LEDs entwickelt werden – zum Beispiel auch für Fernsehapparate. Dadurch, dass die Zusammensetzung, Grösse und Anordnung der Nanokristalle während ihrer Herstellung kontrolliert werden können, versprechen solche Materialien eine viel grössere Bandbreite an elektrischen Eigenschaften als traditionelle Halbleiter.