Nobelwoche wird eingeläutet - diesmal mehr Preise an Frauen?

Die wissenschaftlichen Nobelpreisträger sind mehrheitlich männlich und oft jenseits der 70

29.09.2020 - Schweden

(dpa) Als Christiane Nüsslein-Volhard in den 1960er Jahren in Frankfurt und Tübingen studierte, war es für ihre Kommilitoninnen eher die Ausnahme, nach der Zeit an der Uni tatsächlich in den Beruf einzusteigen. Vielmehr ging es im Studium darum, etwas Interessantes zu lernen und einen Mann zu finden, wie die Biologin erzählt. Im Anschluss waren Hochzeit, Kinder und Familie dann häufig wichtiger als die Karriere in der Wissenschaft. «Eine alleinstehende Frau, die Wissenschaft machen wollte, war eine große Ausnahme. Die Leute konnten damit nicht fair umgehen», sagt die bisher einzige deutsche Medizin-Nobelpreisträgerin.

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Symbolbild

Nüsslein-Volhard wurde 1995 gemeinsam mit den US-Amerikanern Edward Lewis und Eric Wieschaus für ihre Entdeckungen zur genetischen Kontrolle der frühen Embryonalentwicklung mit dem renommiertesten Wissenschaftspreis der Welt geehrt. Dass wie damals eine Frau unter den Nobelpreisträgern war, ist bis heute eher Ausnahme als Regel: In den 25 Jahren danach waren es weitaus häufiger Männer als Frauen, deren Namen Anfang Oktober in Stockholm und Oslo verkündet wurden.

Neben 24 Organisationen wurden bislang 919 unterschiedliche Wissenschaftler, Schriftsteller und Friedensstifter mit Nobelpreisen geehrt. Unter ihnen sind zwischen 1901 und 2019 nur 53 Frauen gewesen, wobei Marie Curie den Preis gleich zweimal erhielt, nämlich erst 1903 für Physik und acht Jahre später für Chemie.

Besonders bei den wissenschaftlichen Preisen ist das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen groß: Während es bislang zumindest 17 Friedens- und 15 Literaturnobelpreisträgerinnen gab, sind es in der Medizin (12), Chemie (5) und Physik (3) weitaus weniger gewesen. Unter den Wirtschaftsnobelpreisträgerinnen finden sich sogar nur zwei ausgezeichnete Frauen.

Auch im vergangenen Jahr blieben die Nobelpreise eine Männerdomäne: Unter den 15 Geehrten in den Kategorien Medizin, Physik, Chemie, Literatur, Frieden und Wirtschaftswissenschaften waren mit der polnischen Schriftstellerin Olga Tokarczuk und der französischen-amerikanischen Ökonomin Esther Duflo nur zwei Frauen - wobei Tokarczuk offiziell zu den Preisträgern 2018 gezählt wird, weil sie nach einem Skandal bei der preisvergebenden Schwedischen Akademie nachträglich für das Vorjahr ausgezeichnet worden war.

Ein Grund für die geringe Zahl an Frauen liegt auf der Hand: Die Wissenschaft war jahrzehntelang männerdominiert - und viele der Preise werden eben für Errungenschaften verliehen, die viele Jahre zurückliegen. Darauf verweist auch der Exekutivdirektor der Nobelstiftung, Lars Heikensten. «Wir wissen um die strukturellen Mängel in der Art und Weise, wie Frauen innerhalb des universitären Systems behandelt worden sind», sagte Heikensten der Deutschen Presse-Agentur in Skandinavien. «Der Fakt, dass wir nicht so viele Frauen als Preisträgerinnen hatten, spiegelt in erster Linie die Situation in den Wissenschaften vor 30 bis 50 Jahren wider.»

Die Situation habe sich inzwischen drastisch verändert: Heute seien weitaus mehr Wissenschaftlerinnen aktiv als früher, weshalb er hoffe und auch davon ausgehe, dass die schon seit einigen Jahren zunehmende Zahl der Nobelpreisträgerinnen im Laufe der Zeit weiter steigen werde, so Heikensten. Und in der Tat geht es bergauf, wenn man einen Blick in die Nobelhistorie wirft: Während zwischen 1901 und 1920 nur vier Preisträger weiblich waren, waren es zwischen 2001 und 2019 immerhin 24.

Zugleich dürfe man das Problem nicht kleinreden, betont Heikensten. «Es ist sehr wichtig, hierbei zu tun, was wir können.» Die einzelnen Vergabe-Institutionen hätten deshalb in den vergangenen Jahren Schritte ergriffen, um sicherzustellen, dass mehr Frauen für den Nobelpreis nominiert werden. «Mit dem Preis schaffen wir Vorbilder. Und je mehr Preisträgerinnen wir haben, desto mehr wird das helfen, andere Frauen zur Wissenschaft zu ermutigen.»

Um Frauen in der Wissenschaft zu stärken, hat Nüsslein-Volhard unter anderem eine Stiftung für junge Wissenschaftlerinnen mit Kind gegründet. «Jede Frau mit einem ehrgeizigen, zeitraubenden und anstrengenden Beruf muss sich Hilfen holen für Sachen, für die sie selbst nicht persönlich erforderlich ist: Haushalt, Auto, Garten», sagt sie. Zugleich weist sie darauf hin, dass Mädchen meist nicht dazu erzogen würden, es als selbstverständlich zu betrachten, eines Tages Chefin sein zu können. Durch viele gute Beispiele sei dies aber besser geworden.

«Frauen können's ja! Frauen sind keineswegs für die Wissenschaft oder Politik weniger geeignet», hebt die Nobelpreisträgerin hervor. «Sie haben nur manchmal andere Bedürfnisse, was sie glücklich macht.» Viele stellten ihr Privatleben höher als den Beruf und blieben etwa generell öfter zu Hause, wenn das Kind krank sei. «Es wird ihnen übelgenommen, wenn sie das nicht tun. Aber wenn ein Mann sagt, ich darf meine Karriere nicht gefährden, hat jeder dafür Verständnis. Das sind immer noch große Unterschiede in der Gesellschaft.»

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