Effizienter kühlen
Wissenschaftler beschreiten bei der Kälteerzeugung der Zukunft neue Wege
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Bisher hatten sich die Forscher hauptsächlich mit dem sogenannten, schon länger bekannten „magnetokalorischen Effekt“ befasst, den sie beobachten, wenn sie bestimmte Metalle und Legierungen einem Magnetfeld aussetzen: Diese Materialien ändern spontan ihre magnetische Ordnung und dabei auch ihre Temperatur. Sie gelten deshalb als aussichtsreiche Kandidaten, um magnetische Kühlkreisläufe zu etablieren. „Seit kurzem ist bekannt, dass sich dieser Effekt bei bestimmten Materialien noch beträchtlich steigern lässt, wenn wir neben dem Magnetfeld gleichzeitig noch andere Stimuli ins Spiel bringen, zum Beispiel ein Kraftfeld, oder ganz konkret, eine mechanische Belastung“, beschreibt Dr. Tino Gottschall vom Hochfeld-Magnetlabor (HLD) am HZDR den Ansatz des Teams. Von solchen „multikalorischen“ Materialien ist bereits eine kleine Palette bekannt.
Das Team wählte mit einer speziellen Nickel-Mangan-Indium-Legierung eine der vielversprechendsten Verbindungen für seine Versuche aus. Sie gehört zu den sogenannten magnetischen Formgedächtnis-Legierungen. Ihr „Gedächtnis“ speist sich aus der Umwandlung zweier Kristallgitter: Bei einem äußeren Anreiz wie dem Anlegen eines Magnetfelds gehen diese Strukturen ineinander über; deutlich wahrnehmbare Verformungen sind dabei keine Seltenheit. Der Clou der ausgewählten Verbindung ist jedoch, dass bei einer bestimmten Temperatur, die den Übergang der Kristallstrukturen ineinander ebenso auslösen kann, sich auch die magnetischen Eigenschaften der Verbindung schlagartig ändern: Struktur und Magnetismus dieser Legierung sind ausgeprägt miteinander gekoppelt.
Maßgeschneidertes Messgerät
Um die für die Beurteilung einer effizienten Kühlprozessführung notwendigen Stoffeigenschaften zu ermitteln, musste das Team in Barcelona zunächst ein eigens dafür ausgelegtes, weltweit einzigartiges Kalorimeter zur Wärmemessung entwickeln, in dem gleichzeitig ein Magnetfeld angelegt und Druck auf die Probe ausgeübt werden kann. Dazu haben die Wissenschaftler ein aus der Werkstoffprüfung bekanntes Verfahren für ihre Zwecke angepasst: Sie setzen die Probe einer mechanischen Stauchung entlang einer Achse aus.
Während die magnetischen Flussdichten bis 6 Tesla reichten – das ist immerhin 120.000 Mal stärker als das Magnetfeld der Erde – betrug die maximal eingesetzte Druckspannung moderate 50 Megapascal. Bei der vorliegenden Probengröße entspricht die Kraftwirkung in etwa der einer Masse von 20 Kilogramm. „Viele Menschen schaffen das sogar mit einer Hand. Gerade dieser Punkt ist entscheidend für eine spätere Anwendung, denn mechanische Belastungen in solch überschaubaren Größenordnungen sind relativ leicht umzusetzen“, erläutert Prof. Lluís Mañosa von der Universität Barcelona und ergänzt: „Die Herausforderung für uns bestand darin, eine genaue Messung sowohl der Druckspannung als auch der Dehnung in unser Wärmemessgerät zu integrieren, ohne dadurch die Messbedingungen zu verfälschen.“
Gesucht: Praxistaugliche Prozessführung
Richtig komplex gestaltete sich die Auswertung der erzielten Ergebnisse. Die Forscher erfassten gleichzeitig verschiedene Parameter wie Temperaturänderung, magnetische Flussdichte, Druckspannung und Entropie der Legierung während programmierter Abkühl- und Aufheizphasen nahe einer materialspezifischen Temperatur, bei der Umwandlungen im Kristallgitter zu einer Änderung der Magnetisierung führen. Bei der verwendeten Legierung erfolgt dieser Vorgang bei Raumtemperatur, was ebenfalls vorteilhaft für eine spätere praktische Anwendung ist.
Die Messungen bilden das Verhalten der Probe in einem vierdimensionalen Raum ab. Um diesen sinnvoll kartographieren zu können, sind eine Vielzahl von Experimenten notwendig, die zu umfangreichen Messkampagnen führen. Für Prof. Oliver Gutfleisch von der TU Darmstadt ein vertretbarer Aufwand: „Das Zusammenspiel der verschiedenen Stimuli bei multikalorischen Materialien ist bisher kaum erforscht. Unsere Nickel-Mangan-Indium-Legierung ist dabei die bisher noch am besten untersuchte, prototypische Verbindung dieser Materialklasse. Wir haben mit unserer Arbeit weiße Flecken auf ihrer Eigenschafts-Landkarte gefüllt.“
Nun können die Wissenschaftler den Nutzen einer zusätzlichen Druckbelastung ganz pragmatisch einschätzen – eine zentrale Fragestellung des ERC Advanced Grant-Projektes Cool Innov. Würden sie zum Beispiel einen Kühlzyklus mit handelsüblichen Neodym-Dauermagneten und ihrer Legierung umsetzen, ließe sich die Kühlwirkung durch das gleichzeitig anliegende Kraftfeld verdoppeln. Das Team geht davon aus, dass sich das neue Verfahren auch bei der Suche nach anderen aussichtsreichen Kühlmaterialien für die Zukunft bewähren wird.