Aus dem Labor zum Start-up – mit viel Psychologie

Studien zeigen psychologische Faktoren bei Firmengründungen durch Forschende

19.02.2021 - Deutschland

Erfolgreiche Unternehmensgründungen aus der Wissenschaft sind in Deutschland selten. Ein Forschungsprojekt hat nun erstmals untersucht, welche psychologischen Faktoren die Gründungsprozesse von Wissenschaftlern beeinflussen. Sie zeigt, dass es diesen oft schwerfällt, aus einer forschenden eine unternehmerische Denkweise zu entwickeln. Vielen Gründungsteams gelingt es zudem nicht, mit klaren Arbeitsprozessen die Expertise ihrer Teammitglieder zu nutzen. Helfen können spielerische Formate wie Makeathons und psychologische Coachings – sowohl für die Teams als auch für die Gründungsberatungen.

Andreas Heddergott / TUM

Makeathons wie "Think.Make.Start" vermitteln Freude am Unternehmertum.

Wissenschaftler entwickeln viele Ideen und Technologien, die das Potenzial für neue Produkte und Dienstleistungen haben. Damit wären sie ideale Kandidatinnen und Kandidaten für die Gründung eines Start-ups. Dennoch gelingen in Deutschland nach wie vor nur vergleichsweise wenige Ausgründungen aus der Wissenschaft.

Ein an der Technischen Universität München (TUM) geleitetes Forschungsteam aus den Bereichen Entrepreneurship, Psychologie, Anthropologie und Wirtschaftswissenschaften hat deshalb mit vier unterschiedlichen Perspektiven und Methoden die Psychologie in Gründungsprozessen untersucht: Zum einen befragte es deutschlandweit über mehrere Monate hinweg rund 280 Gründende zum Einfluss von psychologischen Faktoren wie Motivation, Stress und Frustration, Persönlichkeitsstruktur und Vertrauen auf den Erfolg. Zweitens wurden in experimentellen Settings rund 50 Gründungsteams per Video analysiert, wie sie Informationen austauschen und Entscheidungen treffen.

Außerdem beobachtete und befragte das Forschungsteam rund 200 Teilnehmende von vier Makeathons der TUM. In Makeathons entwickeln Teams über einen Zeitraum von drei Tagen bis zwei Wochen eine unternehmerische Idee und ein Produkt, wobei sie von Coaches begleitet werden. Als solche fungierte eine Forscherin und nutzte so eine aus der Anthropologie bekannte Methode, bei der Forschende Teil ihres Forschungsgegenstands werden und ihn gleichzeitig beobachten. Schließlich befragte die Forschungsgruppe ein dreiviertel Jahr lang zwölf Gründungsteams mit unterschiedlichen Zusammensetzungen für eine detaillierte Analyse der Zusammenarbeit akademischer Teams im Gründungsprozess.

Kluft zwischen Akribie und Pragmatismus

Die interdisziplinären Studien zeigt psychologische Faktoren, die Gründungsprozesse hemmen, sowohl auf der individuellen als auch auf der Team- und Organisationsebene:

Entscheiden sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für eine Gründung, müssen sie die Kluft zwischen der akribischen Denkweise als Forschende und der pragmatischen Herangehensweise als Unternehmerin oder Unternehmer überwinden. Vielen fällt dies schwer. Sie legen ihren Fokus auf die Entwicklung ihrer Technologie und weniger auf die Erfüllung von Kundenbedürfnissen.

Hindernisse gab es auch bei der Zusammenarbeit im Team. Erfolgreiche Gründungsteams schaffen es, Wissen aus verschiedenen Disziplinen mithilfe klarer Arbeitsprozesse und fest vereinbarter Austauschformate zusammenzuführen. Doch nur einem Drittel der untersuchten Teams gelang es, die vorhandene Expertise der einzelnen Mitglieder umfassend zu nutzen.

Auch bei der Unterstützung der Teams gab es Nachholbedarf. Viele Gründungsberaterinnen und -berater betreuen an den Hochschulen mehr als 20 Teams gleichzeitig. Ihnen bleibt wenig Zeit, neben der wirtschaftlichen Beratung auch auf psychologische Dynamiken in den Gründungsteams einzugehen. Zudem stellen manche Teams im Beratungsgespräch ihren Fortschritt und ihre Sicht auf das Team – teils unbewusst – zu positiv dar.

Mit spielerischen Formaten starten

Das Projekt zeigt aber auch psychologische Faktoren, die Gründungsprozesse stärken und aus denen die Forschungsgruppe Empfehlungen für die Gründungsförderung an Hochschulen entwickelt hat:

Hochschulen starten die Entrepreneurship-Ausbildung am besten spielerisch. Interdisziplinäre Formate wie Makeathons vermitteln nicht nur Wissen, sondern vor allem Spaß an Unternehmertum. Der spielerische Charakter ohne ökonomischen Druck hilft dabei, erste unternehmerische Fertigkeiten wie gute Planung, den Umgang mit Hindernissen und Denkweisen wie die Nutzerorientierung zu entwickeln. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer identifizieren sich als Ergebnis dieser Lernerfahrung stark mit der Rolle als Unternehmerin und Unternehmer.

Ein Coaching hilft, die Doppel-Rolle als Forschende und Gründende zu reflektieren und eine konstruktive Dynamik im Team zu entfalten. Das Coaching sollte frühzeitig für typische Herausforderungen wie beispielsweise Selbstmanagement, Zeitmanagement, Führung oder gewaltfreie Kommunikation sensibilisieren und Methoden für eine professionelle Zusammenarbeit vermitteln.

„Teams, die ernsthaft mit ihrer Gründung weiterkommen wollen, brauchen eine individuelle Förderung. Ergänzend zur Beratung bei wirtschaftlichen Aspekten ist ein persönlichkeits- und teamorientiertes Coaching ratsam. Dies hilft, bei Konflikten und Unstimmigkeiten zwischen den Teammitgliedern zu vermitteln und Kompetenzen aufzubauen, damit Scheitern im Team nicht zu einem Firmenscheitern führt“, sagt Nicola Breugst, Professorin für Entrepreneurial Behavior der TUM, die gemeinsam mit Prof. Holger Patzelt, Lehrstuhl für Entrepreneurship, das Projekt geleitet hat.

Teampsychologische Effekte moderieren

Die Hochschulen sollten zudem ihre Gründungsberaterinnen und -berater psychologisch schulen, damit sie teampsychologische Effekte und ihre Auswirkungen erkennen und moderieren können. So können sie auch Widersprüche in der Selbstdarstellung von Teams leichter erkennen und frühzeitig handeln. Die Forschungsgruppe rät ihnen, auch räumlich möglichst nah an den Teams zu sein und an Treffen mit potenziellen Partnern, Kunden und Investoren teilzunehmen.

Darüber hinaus empfiehlt das Studienteam die Verankerung von Entrepreneurship durch die Hochschulleitungen, sichtbare Gründungsvorbilder und Freiräume für unternehmerische Ideen wie etwa Sabbaticals für eine Gründung. Fachübergreifende Zusammenarbeit, bei der unterschiedliche Perspektiven auf ein Thema zusammentreffen, und der kontinuierliche Austausch mit der Wirtschaft sind ebenfalls Erfolgsfaktoren.

Originalveröffentlichung

Shepherd, D.A., Sattari, R. and Patzelt, H.; "A social model of opportunity development: Building and engaging communities of inquiry"; Journal of Business Venturing, in press.

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