Mit Machine Learning Grenzflächen von Hybridmaterialien verstehen
Ein Designprinzip für die Selbstorganisation funktionalisierter Moleküle entwickelt
© Jeindl - TU Graz
Die Herstellung von Nanomaterialien beinhaltet Selbstanordnungsprozesse funktionaler (organischer) Moleküle auf anorganischen Oberflächen. Diese Kombination aus organischen und anorganischen Komponenten ist wesentlich für Anwendungen in der organischen Elektronik und anderen Bereichen der Nanotechnologie.
Bisher erreichte man bestimmte gewünschte Oberflächeneigenschaften oft nach dem Trial-and-Error-Prinzip: Moleküle wurden solange chemisch verändert, bis das beste Ergebnis für die gewünschte Oberflächeneigenschaft gefunden wurde. Die Prozesse, die die Selbstanordnung der Moleküle an den Grenzflächen steuern, sind aber so komplex, dass kleine Änderungen der Moleküle zu gravierend unterschiedlichen Motiven führen können. Diese unerwartete Strukturbildung erklären Physiker der TU Graz in einer Studie im Fachjournal ACS Nano. Die Forscher untersuchten hierzu chinoide Verbindungen auf einer Silberoberfläche. Erstautor Andreas Jeindl vom Institut für Festkörperphysik erklärt: „Naiv könnte man erwarten, dass Moleküle mit leicht unterschiedlicher Größe, aber gleicher Funktionalisierung ähnliche Motive bilden. In auffallendem Gegensatz dazu zeigt unsere gemeinsame theoretische und experimentelle Studie, dass sich bei Chinonen völlig unterschiedliche Strukturen ausformen. Trotz gleichbleibender Ausgangsbedingungen lassen sich diese Strukturen ohne detaillierte Kenntnisse der Wechselwirkungen nicht vorhersagen und planen.“
Drei gegensätzliche Antriebskräfte
Die Unvorhersehbarkeit haben die Grazer Forscher nun gemeinsam mit einem Team der FSU Jena ein Stück weit aufgebrochen: Sie fanden heraus, dass die Strukturbildung zurückzuführen ist auf eine Gleichgewichtsverschiebung von drei gegensätzlichen Antriebskräften: Die Wechselwirkung zwischen Molekülen und dem Metall will alle Moleküle in dieselbe Orientierung zwingen, während die Wechselwirkung zwischen den Molekülen teilweise unterschiedliche Orientierungen bevorzugt. Als dritter Faktor wirken dann die geometrischen Formen der Moleküle, die bestimmte Wechselwirkungen unterbinden oder nur teilweise zulassen.
Davon ausgehend konnten sie ein Designprinzip erarbeiten, mit dem sich die Strukturbildung an den Grenzflächen und damit deren Eigenschaften vorhersagen lässt – zumindest für eine erste Molekülklasse. Eine wesentliche Rolle spielt dabei ein Suchalgorithmus (SAMPLE), der auf maschinellem Lernen basiert. Jeindl führt aus: „Wir konnten in dieser Publikation zeigen, dass die mit unserem Algorithmus vorhergesagten Strukturen exzellent mit den experimentellen Charakterisierungen organisch-anorganischer Grenzflächen übereinstimmen – sowohl darin, wie die Moleküle sich auf der Oberfläche orientieren, als auch darin, wie sich die Motive auf der Oberfläche wiederholen. Zudem konnten wir mit unserer Analyse erstmals die Antriebskräfte detailliert und quantitativ aufschlüsseln , und zwar nicht nur der sich experimentell bildenden, sondern de facto aller denkbaren Strukturen. Das ist ein wichtiger Blick hinter die Kulissen der Strukturbildung“.
Grenzflächeneigenschaften nach Baukastenprinzip
Das nicht-intuitive Zusammenspiel ähnlich wichtiger Wechselwirkungsmechanismen bleibt weiterhin eine Herausforderung für das Design funktionaler Grenzflächen. Mit einer detaillierten Betrachtung aller treibenden Kräfte sind die Grazer Physiker aber dennoch in der Lage, ein Designprinzip für die Selbstorganisation funktionalisierter Moleküle einer Molekülklasse zu entwerfen. Sobald es genügend Analysen für verschiedene Molekülklassen gibt, lassen sich die richtigen Moleküle für die gewünschten Grenzflächeneigenschaften am Computer einfach aus einem Baukasten zusammenbauen.