Atome in Keramik mechanisch einprägen
Marion Höfling
Jurij Koruza
Der Weltmarkt an Elektrokeramiken beträgt jährlich etwa 25 Milliarden Euro. Diese sehr kleinen Bauteile entgehen oft der täglichen Wahrnehmung. Allein in einem Smartphone befinden sich 600 Kondensatoren, von denen insgesamt jährlich drei Billionen, also 3000 Milliarden, hergestellt werden. Die Funktionsweise von vielen Elektrokeramiken basiert nicht auf Stromfluss durch das Material, sondern auf kleinen Ladungsverschiebungen, Polarisation genannt, über Bruchteile eines atomaren Durchmessers. Etwa ein Viertel der weltweit hergestellten Elektrokeramiken verknüpft diese Polarisation mit einer Verlängerung des Materials, die wiederum auf eine Genauigkeit eines atomaren Durchmessers eingestellt werden kann. Erst damit können die immer kleiner werdenden Computerbauteile und Mikroroboter strukturiert werden.
Atomare Reihen im Atom austauschen
Die Eigenschaften der Elektrokeramiken lassen sich verbessern, indem man mit chemischen Eingriffen einzelne Atome im regelmäßig geformten Kristallgitter durch andere ersetzt (dotiert), so als würde man in einen Kinosaal voller Fans des FC Bayern München mit roten Trikots einen Fan von Borussia Dortmund mit schwarz-gelbem Trikot setzen. Bei besonderen Anforderungen wie etwa erhöhter Temperatur oder elektrischer Spannung verliert allerdings das dotierte Atom seinen Platz – der Fan würde herumgestoßen – und die Funktion der Keramik leidet drastisch.
Der Einbau einzelner Atome in ein Keramik-Kristallgitter ist für komplexe Anforderungen nicht stabil genug, der Einbau ganzer atomarer Reihen (Versetzung) ist jedoch robust. Im Fußball-Beispiel entspräche das einer Kinoreihe von Fans der Borussia zwischen den Fans der Bayern. Für die Erforschung dieser Versetzungen kooperieren Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus drei Arbeitsgruppen der TU Darmstadt mit Forschungsgruppen aus der Schweiz, den Niederlanden und der USA.
Neue Atome, neue Eigenschaften
„Für planvolle Versetzungen reichen chemische Methoden nicht mehr aus“, sagt Professor Jürgen Rödel, Leiter des Fachgebiets für Nichtmetallisch-Anorganische Werkstoffe der TU Darmstadt. Den Forschenden gelang die Versetzung stattdessen mechanisch: Sie nutzen ein Verfahren, bei dem die Keramiken unter kontrollierten Druck- und Temperaturverhältnissen mechanisch verformt werden und sich die Versetzung in die Keramik einprägen lässt. Ein solches Vorgehen ist bei Metallen trivial, schien bisher aber bei Keramiken wegen deren großer Härte kaum denkbar. Zudem ist die keramische Oberfläche sehr spröde und kann leicht brechen. Um diese Hindernisse zu überwinden, verwandten die Wissenschaftler eine mechanische Einprägung bei 1150 Grad Celsius in einen Einkristall vorher berechneter optimierter Orientierung.
Mit dieser Methode ist nun ein wohl geordnetes Feld neu besetzter atomarer Reihen möglich. Diese Reihen kontrollieren jetzt im Material die lokale Polarisation, die Ladungsverschiebung. Da die eingeprägten Reihen die Polarisation klar begrenzen, kann diese auch nicht durch sehr hohe Betriebsanforderungen an Struktur verlieren. Im Betrieb der Elektrokeramik nehmen jetzt die durch Reihen (Versetzungen) abgegrenzten Materialbereiche bestimmte Ladungsverschiebungen ein, ganz so als würden sich die Fans der Bayern in Kinosektionen vorbeugen oder zur Seite lehnen. Da sich diese Materialbereiche bei hohen Anforderungen nicht verändern, wird keine Energie durch innere Reibung umgewandelt und das Materialverhalten bleibt stabil.
Diese Materialien erlauben es jetzt, gleich bleibende Eigenschaften auch bei erhöhter Temperatur und erhöhtem Energieeinsatz zu gewährleisten. Gleichzeitig gehen die Forschenden die nötige Kostenreduktion an, um die Versetzungen durch mehrere Optionen des mechanischen Einprägens zur Verfügung stellen zu können.