Neue Erkenntnisse zur „Dressur“ hochreaktiver chemischer Verbindungen
Kontrollierter Angriff möglich?
Privat
Dies ist die Grundlage, um diese hochreaktiven Moleküle gezielt einsetzen zu können, etwa für die Erzeugung neuer Molekülstrukturen oder um gefährlichen chemischen "Müll" zu binden und somit zu entsorgen.
Was Moleküle und Menschen gemeinsam haben
Moleküle und Menschen haben einiges gemeinsam: Es gibt jene, die träge sind und lieber unter sich bleiben und es gibt solche, die sehr aktiv und kontaktfreudig sind. Und dann gibt es noch diejenigen, die mit ihrem Zustand so unzufrieden sind, dass sie wahllos ihre Umgebung attackieren. Möchte man sie dazu bringen, sich sozial zu verhalten, muss man zunächst den Grund für ihre Attacken verstehen. So ähnlich geht es Chemikern mit hochreaktiven Verbindungen: Aufgrund ihrer enormen Reaktivität sind gezielte Synthesen (das Herstellen eines bestimmten Moleküls) mit ihnen extrem schwierig. Denn möchte man diese hochreaktiven Verbindungen mit einem bestimmten anderen Molekül reagieren lassen, scheitert das meistens schon daran, dass sie stattdessen mit dem Lösungsmittel in ihrer Umgebung reagieren. Sie verbinden sich mit allem, was sich ihnen in den Weg stellt. „Genau darin besteht aber auch die große Chance, die diese Verbindungen bieten. Denn sie schaffen es, selbst sehr unreaktive kleine Moleküle und Atome zu einer Reaktion zu bewegen, die auf anderem Wege nicht möglich gewesen wäre“, erläutert Warneke.
Hochreaktive Verbindungen gezielt lenken
Schon seit einigen Jahren wird am Wilhelm-Ostwald-Institut an einer speziellen Art von hochreaktiver Verbindung mit zwölf Boratomen geforscht, die sogar die sehr unreaktiven Edelgase binden kann. Dabei haben elf Boratome einen Bindungspartner (einen sogenannten Substituenten), während das zwölfte Boratom den Angriff durchführt. Wie lassen sich diese hochreaktiven Verbindungen lenken, damit in Zukunft gezielte Synthesen möglich sind? Um das herauszufinden, haben die Forschenden am Wilhelm-Ostwald-Institut diese hochreaktiven Verbindungen in dem lösungsmittelfreien und luftleeren Raum eines Massenspektrometers erzeugt und damit so isoliert, dass sich keine angreifbaren Strukturen in ihrer Umgebung befinden.
In einem zweiten Schritt wurden der hochreaktiven Verbindung gezielt Reaktionspartner zugeführt, die von dieser angegriffen wurden. Dabei stellten die Forschenden fest, dass sich die „Angriffslust“ der Verbindung änderte, wenn die Substituenten verändert wurden. „Das war zunächst nicht erstaunlich“, sagt Warneke. „Allerdings stellten wir dann fest, dass die Angriffslust durch diesen Austausch von Atomen nicht einfach nur stärker oder schwächer wurde, sie hing stark davon ab, welcher Reaktionspartner vorhanden war.“ Die Reaktionsvorlieben abhängig vom Substituenten konnten die Forschenden auf eine ganz spezielle chemische Bindung zurückführen, die sich unterschiedlich stark und abhängig vom Reaktionspartner ausbildet.
Die Erkenntnis war für die Forschenden überraschend, da diese Art von Bindung in der Chemie eher für Metallverbindungen bekannt ist und nicht für die untersuchten Bor-Verbindungen, die den Nichtmetallverbindungen zuzurechnen sind. Diese Hypothese konnte durch spezielle experimentelle und theoretische Methoden von der Nachwuchsforschergruppe Warneke in Zusammenarbeit mit den Arbeitskreisen von Prof. Dr. Knut Asmis und Prof. Dr. Ralf Tonner vom Wilhelm-Ostwald-Institut schließlich zweifelsfrei belegt werden. Zusammen mit Partnern aus Wuppertal setzt die Wissenschaftlergruppe ihre Forschung fort. Sie haben die Hoffnung, Moleküle wie Kohlenmonoxid oder Stickstoff aus der Luft auf diese Weise für gezielte Synthesen verwenden zu können. Bis dahin, so sagt Warneke, sei es aber noch ein langer Weg.
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