Hochtemperatur-Supraleitung verstehen - mit ultratiefen Temperaturen
Überraschende Entdeckung könnte helfen, das Rätsel der Hochtemperatur-Supraleitung zu lösen
Technische Universität Wien
An der TU Wien gelang nun eine Entdeckung, die ein wichtiger Schritt in diese Richtung sein könnte: Ein Festkörperphysik-Forschungsteam untersuchte ein ungewöhnliches Material – ein sogenanntes „Strange Metal“ aus Ytterbium, Rhodium und Silizium. Strange Metals zeigen einen ungewöhnlichen Zusammenhang zwischen elektrischem Widerstand und Temperatur. Bei diesem Material ist dieser Zusammenhang in einem besonders großen Temperaturbereich zu sehen, und der zugrundeliegende Mechanismus ist bekannt. Entgegen bisheriger Annahmen stellte sich nun heraus, dass dieses Material außerdem ein Supraleiter ist und die Supraleitung eng mit dem Strange-Metal-Verhalten in Verbindung steht. Das könnte der Schlüssel zum Verständnis von Hochtemperatur-Supraleitung auch in anderen Materialklassen sein.
Strange Metal: linearer Zusammenhang von Widerstand und Temperatur
Bei gewöhnlichen Metallen steigt der elektrische Widerstand bei tiefen Temperaturen mit dem Quadrat der Temperatur. Bei manchen Hochtemperatur-Supraleitern ist die Situation aber völlig anders: Bei tiefen Temperaturen, unterhalb der sogenannten supraleitenden Sprungtemperatur, zeigen sie überhaupt keinen elektrischen Widerstand, und oberhalb dieser Temperatur steigt der Widerstand linear statt quadratisch mit der Temperatur. Man spricht in diesem Fall von „Strange Metals“ – von „seltsamen Metallen“.
„Man hat daher in den letzten Jahren bereits vermutet, dass dieser lineare Zusammenhang zwischen Widerstand und Temperatur eine ganz wichtige Bedeutung für die Supraleitung hat“, sagt Prof. Silke Bühler-Paschen, die am Institut für Festkörperphysik, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster der TU Wien den Forschungsbereich „Quantum Materials“, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster leitet. „Doch leider kannte man bisher kein geeignetes Material, um das wirklich gut untersuchen zu können.“ Bei Hochtemperatur-Supraleitern ist der lineare Zusammenhang zwischen Temperatur und Widerstand meist nur in einem relativ kleinen Temperaturbereich nachweisbar und außerdem können verschiedene komplizierte Effekte, die bei höheren Temperaturen unweigerlich auftreten, diesen Zusammenhang auf komplizierte Weise beeinflussen.
Viele Experimente wurden mit einem exotischen Material (YbRh2Si2) durchgeführt, in dem das Strange-Metal-Verhalten in einem extrem weiten Temperaturbereich sichtbar ist – doch erstaunlicherweise schien gerade aus diesem extremen „Strange Metal“-Zustand heraus keine Supraleitung zu entstehen. „Es gab bereits theoretische Überlegungen, um zu begründen, warum Supraleitung hier einfach nicht möglich ist“, sagt Silke Bühler-Paschen. „Wir beschlossen trotzdem, uns dieses Material noch einmal näher anzusehen.“
Rekordverdächtige Kälte
An der TU Wien steht ein besonders leistungsfähiges Tieftemperaturlabor zur Verfügung. „Dort können wir Materialien bei extremeren Bedingungen untersuchen als das anderen Forschungsgruppen bisher möglich war“, erklärt Silke Bühler-Paschen. So konnte man zunächst zeigen, dass in YbRh2Si2 der lineare Zusammenhang zwischen Widerstand und Temperatur sogar in einem noch größeren Temperaturbereich gegeben ist als bisher gedacht – und dann gelang die entscheidende Entdeckung: Bei extrem tiefen Temperaturen von nur einem Millikelvin wird aus dem Strange Metal ein Supraleiter.
„Damit ist unser Material optimal geeignet, um herauszufinden, auf welche Weise das Strange-Metal-Verhalten zur Supraleitung führt“, sagt Silke Bühler-Paschen.
Paradoxerweise sorgt gerade die Tatsache, dass das Material erst bei sehr tiefen Temperaturen supraleitend wird, dafür, dass sich damit Hochtemperatur-Supraleitung besonders gut erforschen lässt: „Die Mechanismen, die zu Supraleitung führen, sind bei diesen extrem niedrigen Temperaturen besonders gut sichtbar, weil sie dort nicht von anderen Effekten überlagert werden. In unserem Material ist dies die Lokalisierung eines Teils der Leitungselektronen an einem quantenkritischen Punkt. Es erscheint wahrscheinlich, dass derselbe Mechanismus auch für das Verhalten von Hochtemperatur-Supraleitern wie den berühmten Cupraten verantwortlich ist“, sagt Silke Bühler-Paschen.