Zufallseffekte erschweren eine Optimierung der Antibiotikatherapie
Welche Rolle spielen eine Reduktion der Bakterienzahl und daraus resultierende Zufallseffekte für die Evolution von Antibiotikaresistenzen
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Bislang wenig beachteter Faktor für die Resistenzevolution
Die Reduktion der Populationsgröße des Krankheitserregers ist ein Ereignis, das während einer realen Infektion im Körper von Patientinnen und Patienten wiederholt eintritt. Um seine Konsequenzen für die Evolutionsdynamik des Krankheitserregers und damit die Evolution von Antibiotikaresistenzen zu untersuchen, hat das Kieler Forschungsteam zwei unterschiedliche Typen von Evolutionsexperimenten durchgeführt und die Veränderungen der Bakterien sowohl phänotypisch, als auch genetisch analysiert. „Wir haben zwei Antibiotika mit verschiedenen Wirkmechanismen jeweils am Bakterium Pseudomonas aeruginosa getestet und dabei die Populationsgröße und die Antibiotikakonzentration in zahlreichen Versuchsreihen variiert“ erklärt Dr. Niels Mahrt, Erstautor der Studie und bis vor kurzem Mitglied in Schulenburgs Arbeitsgruppe. „Dabei konnten wir beobachten, dass bei einer geringen Reduktion der Bakterienanzahl eine schnelle Anpassung an die Wirkstoffe häufig auf ähnlichen evolutionären Wegen stattfand“, so Mahrt weiter. Solch eine Anpassung über ähnliche genetische Veränderungen wird auch als parallele Evolution bezeichnet.
Bei einer starken Reduktion der Populationsgröße des Erregers ließen sich dann jedoch immer weniger dieser parallel entstehenden Anpassungen beobachten. „Unter dem Einfluss besonders starker ‚Bottlenecks‘ wird die Anpassung der Bakterien stark vom Zufall beeinflusst. Das bedeutet, dass dann vermehrt zufällig entstehende genetische Varianten, die einen evolutionären Vorteil für die Keime bieten, auf nur wenige konkurrierende Mutationen treffen und sich daher wahrscheinlich durchsetzen“, fasst Mahrt zusammen. „Zusammengenommen ergeben sich daraus deutliche Belege, dass das Zusammenspiel von unterschiedlich stark ausgeprägten ‚Bottlenecks‘ und dem durch Antibiotika ausgeübten Selektionsdruck die evolutionäre Entwicklung von Resistenzen und die Fitness der Krankheitserreger stark verändert“, so Mahrt weiter. Die Erforschung dieser Faktoren ist daher essentiell für ein vollständiges Verständnis der Evolution von Krankheitserregern und darauf aufbauenden Therapiemöglichkeiten.
Präzisionsmedizin in der Antibiotika-Therapie?
Die neuen Forschungsergebnisse der Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fügen der Entwicklung neuer Therapieformen eine zusätzliche Dimension an Komplexität hinzu. Die Identifizierung von ausnutzbaren robusten Effekten wie etwa der sogenannten „kollateralen Sensitivität“, bei der die Anpassung eines Keims an ein Antibiotikum ihn zugleich empfindlich für einen zweiten Wirkstoff macht, wird dadurch erschwert: Die Anwendung solch universeller Prinzipien könnte den neuen Ergebnissen zufolge durch den Einfluss von Zufallseffekten stark eingeschränkt werden, wie die experimentellen Beobachtungen zur Rolle der „Bottlenecks“ im Infektionsverlauf nahelegt.
„Eine mögliche Antwort auf diese zusätzliche Schwierigkeit könnte es sein, bei bakteriellen Infektionen im Einzelfall eine genaue Charakterisierung der ursächlichen Krankheitserreger und ihrer Mechanismen zur Resistenzevolution vorzunehmen“, sagt KEC-Sprecher Schulenburg, der im Exzellenzcluster PMI unter anderem zur individualisierten Antibiotikatherapie bei chronischen Lungeninfektionen forscht. „Solche präzisionsmedizinischen Ansätze, bei denen der individuelle Zustand einzelner Patientinnen und Patienten einem möglichen Behandlungsansatz zugrunde liegt, sind zwar aufwändig, versprechen aber perspektivisch neue Möglichkeiten zum Beispiel bei der Bekämpfung von chronischen Infektionen“, so Schulenburg weiter.
Insgesamt liefert die neue Studie wichtige konzeptionelle Erkenntnisse, die eine Grundlage für die Optimierung künftiger präziserer Behandlungsstrategien bilden könnten. Diese werden auf einer stärkeren Berücksichtigung der individuellen Situation der Patientinnen und Patienten beruhen und bestimmte, im Einzelfall eintretende Resistenzmechanismen der Krankheitserreger in den Blick nehmen.