Von Gülle zu hochreinem Wasserstoff
TU Graz und Start-Up Rouge H2 Engineering erzeugen weltweit erstmalig hochreinen Wasserstoff aus Biogas direkt in einer Biogasanlage mit einem neuen Chemical Looping Prozess
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Für eine flächendeckende Versorgung mit Wasserstoff ist eine dezentrale Herstellung also künftig unumgänglich – am besten klimaneutral aus lokal verfügbaren erneuerbaren Energiequellen. Forschende der TU Graz rund um Verfahrenstechniker Viktor Hacker haben 2020 gemeinsam mit dem Grazer Start-Up Rouge H2 Engineering ein nachhaltiges Verfahren zur dezentralen Wasserstofferzeugung präsentiert, die sogenannte „Chemical-Looping Hydrogen-Methode“. Die mehrfach ausgezeichneten Forschungsergebnisse mündeten in einer kompakten On-Site-On-Demand-Anlage, die – ausgehend von Biogas, Biomasse oder Erdgas – Wasserstoff erzeugen kann.
Nun lassen Hacker und Co. erneut aufhorchen: Mit konkreten Ergebnissen des weiterführenden Projekts Biogas2H2: In einer der weltweit größten industrienahen Demonstrationsanlagen erzeugen sie direkt bei einer bestehenden Biogasanlage hochreinen Wasserstoff aus echtem Biogas inklusive aller Verunreinigungen, die im Gas vorhanden sind. Gefördert wird das Projekt von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG.
Wasserstoff aus südsteirischem Biogas
„Wir zeigen damit, dass ein Chemical-Looping System in eine bestehende Biogasanlage eingebunden werden kann. Es entsteht hochreiner Wasserstoff für Brennstoffzellen aus realem Biogas, und zwar nicht nur im Labor, sondern tatsächlich im industriellen Maßstab“, erläutert Viktor Hacker vom Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik der TU Graz. Das reale Biogas – Methangas aus Schweinegülle, Glycerinphase, Silomais und Getreideresten – stammt von der südsteirischen Ökostrom Mureck GmbH. Dort ist man sehr interessiert an einem zusätzlichen Standbein: „Die Option, dass unser Biogas neben Strom zusätzlich auch grünen Wasserstoff für nachhaltige Mobilität erzeugt, ist natürlich hochspannend für uns“, so Geschäftsführer Karl Totter.
Am Firmengelände in Mureck haben Rouge H2 Engineering und die TU Graz im Sommer 2021 die Demonstrationsanlage errichtet und noch bis Ende Oktober zu Testzwecken in Betrieb. Die 10 Kilowatt Anlage zweigt dabei etwa ein Prozent des Biogasstroms ab (etwa 30 Liter pro Minute) und vermischt es mit Wasserdampf. Das Gemisch strömt in den Reaktor der Anlage. Dort wird das Biogas reformiert und Synthesegas hergestellt. Dieses Gas reduziert in weiterer Folge Eisenoxid zu Eisen. Dann kommt Wasserdampf in den Reaktor, der das Eisen wieder zu Eisenoxid reoxidiert. Dabei wird Wasserstoff mit einem Reinheitsgrad von 99,998 Prozent frei.
Reif für den kommerziellen Einsatz
Mit diesem Eisen-Wasserdampf-Prozess wird ein Wirkungsgrad von 75 Prozent erreicht. „Würden wir anstelle des einen Prozents den gesamten Biogasstrom der Murecker Biogasanlage (etwa 480 Kubikmeter pro Stunde) durch eine entsprechend hochskalierte Chemical-Looping-Anlage leiten, kämen wir sogar auf eine 3 Megawatt Wasserstoffproduktionsanlage. Das bedeutet, die Technologie ist nun reif für den kommerziellen Einsatz. Wir können auch im großen Maßstab dezentralen Wasserstoff aus realem Biogas herstellen. Alles, was es braucht, ist ein wenig Platz für unsere Anlage. Wir sind daher ab sofort offen für Aufträge aus der Biogasindustrie“, betont Rouge H2 Projektleiter Gernot Voitic.
Diese Art der dezentralen Herstellung wirkt sich auch positiv aus auf den Produktions- und somit auf den Einkaufspreis des Wasserstoffs. Dazu Hacker: „Derzeit wird Wasserstoff an der Tankstelle mit 10 Euro/kg angeboten. Die techno-ökonomischen Analysen, die Teil unseres Forschungsprojekts sind, prognostizieren für unser Verfahren einen kompetitiven Wasserstoffpreis von 5 Euro/kg für dezentral produzierten Wasserstoff. Damit ist das Verfahren gegenüber anderen Technologien wie z.B. der Elektrolyse konkurrenzfähig (5-12 Euro/kg Wasserstoff).
Das Problem mit dem Druck
Die Technologie funktioniert also bewiesenermaßen und lässt sich auch reibungslos in eine bestehende Biogasanlage integrieren. Zentrale Fragen zur flächendeckenden Verfügbarkeit sind aber noch offen, darunter: Was soll mit dem Wasserstoff in weiterer Folge geschehen? Und: Wer macht den ersten Schritt?
Naheliegend ist die Überlegung, neben der Anlage zur Wasserstofferzeugung aus Biogas gleich auch eine Wasserstofftankstelle zu installieren. Die Krux dabei: Wasserstoffbetriebene Fahrzeuge müssen laut Vorgaben derzeit mit 700 bar Druck betankt werden, „um möglichst viel Wasserstoff in einen möglichst kleinen Tank reinzubekommen und so eine attraktive Reichweite zu erlangen.“, erklärt Viktor Hacker. Die Chemical-Looping-Anlage erzeugt Wasserstoff mit einem Druck von bis zu 100 bar, was vergleichsweise hoch ist, aber für eine Betankung nicht reicht. Den Wasserstoff auf 700 bar zu komprimieren, ist sowohl knifflig als auch teuer. „Irgendwo muss diese Verdichtung erfolgen, entweder direkt am Herstellungsort oder spätestens bei der Tankstelle, die man freilich auch mit abgefülltem Wasserstoff beliefern könnte. Die Kosten werden anfallen, und damit sind wir wieder beim Tankpreis.“
Technisch notwendig wäre diese Verdichtung nicht: Brennstoffzellen-Fahrzeuge können prinzipiell auch mit nur 2 bar Druck fahren – nur eben nicht sehr weit. Daher würde sich die dezentrale Wasserstoffproduktion direkt bei Biogasanlagen für kürzere Fahrtstrecken anbieten, etwa für Wasserstoff-Traktoren (die es derzeit am Markt noch gar nicht gibt) oder für wasserstoffbetriebene Lagerfahrzeuge wie etwa Gabelstapler.
Andere Möglichkeiten der Nutzung von Wasserstoff „ab Biogasanlage“ wären etwa die Abfüllung in Gasflaschen zum weiteren Transport, die Verlegung von Wasserstoffleitungen direkt zu mit Brennstoffzellen ausgestatteten Wohnhäusern oder die Nutzung in industriellen Prozessen. Für Karl Totter Junior und Senior ist für die Ökostrom Mureck GmbH klar: „Wir könnten uns sehr gut vorstellen, unser Biogas auch zur Herstellung von Wasserstoff zu verwenden und unser Gelände um eine entsprechende Anlage zu ergänzen. Aber abkaufen muss uns den Wasserstoff auch jemand. Nachfrageseitig muss sich noch etwas bewegen, damit wir diesen Investitionsschritt setzen können“.
Für die Wasserstoffforschung an der TU Graz geht es nun nicht mehr um die konkrete Anwendung der Technologie – hier ist nun Rouge H2 Engineering gefragt – sondern um deren Weiterentwicklung. Konkret startete mit September 2021 das vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt Acceptor, in der sich Hacker und sein Team der ausbaufähigen Lebensdauer des eisenbasierten Materials im Reaktor widmen werden.
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