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Elektrisch schaltbare Nanoantennen als Grundlage für holographische Videotechnologie
Julian Karst, Universität Stuttgart / PI 4
Julian Karst Universität Stuttgart / PI 4
Hologramme als eindrucksvolle dreidimensionale Standbilder sind vielen bekannt. Bewegte Hologramme, gar in Echtzeit, mit Daten aus einem Hochgeschwindigkeits-Internet, gibt es bisher jedoch nicht. Der begrenzende Faktor dafür ist die Auflösung der Displays: Holographische Bilder erfordern eine Auflösung von 50.000 dpi (Pixeln pro Inch) - 100-mal mehr, als die besten Smartphone-Displays derzeit leisten. Für eine solche Auflösung müsste man die Pixelgröße auf einen halben Mikrometer verkleinern. Dies ist jedoch nicht möglich, da die Ansteuerung der Graustufen zwischen „schwarz“ und „weiß“ über die Spannung bei so schmalen Pixeln mit den üblichen Flüssigkristallen nicht mehr funktioniert.
Forschende der Universität Stuttgart haben diese fundamentale Barriere in einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Physik und Chemie jetzt erstmals durchbrochen und einen komplett neuen Ansatz für holographische Displays eingeführt. Sie haben dazu elektrisch schaltbare, nur wenige hundert Nanometer große metallische Nanoantennen auf Basis von leitfähigen Polymeren entwickelt. Schon seit einigen Jahren konnte man mit Nanoantennen so genannte Metaoberflächen erzeugen, die beim Betrachten den Eindruck eines 3-dimensionalen Hologramms hervorriefen. Diese Nanoantennen bestanden jedoch aus einem Metall wie Gold oder Aluminium und sind daher nicht wie Flüssigkristalle umschaltbar.
Leitfähige Funktionspolymere als geeignetes schaltbares Material
Nach mehrjähriger Suche nach geeigneten Materialien identifizierten Doktorand Julian Karst und Nanostruktur-Experte Dr. Mario Hentschel am 4. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart unter der Leitung von Prof. Harald Giessen zusammen mit der Polymerchemikerin Prof. Sabine Ludwigs und ihrem Team elektrisch leitende Kunststoffe als „umschaltbare Kandidaten“. Die Gruppe von Sabine Ludwigs ist spezialisiert auf die Entwicklung und das elektrochemische Schalten von leitfähigen Funktionspolymeren. Diese Materialien, für deren Erfindung im Jahr 2000 der Nobelpreis für Chemie verliehen wurde, werden heute in Stromleitungen für flexible Displays und Solarzellen eingesetzt.
Karst und Hentschel entwickelten zusammen mit der Reinraumchefin Monika Ubl einen Prozess, der es ermöglichte, aus diesen „metallischen Polymeren“ winzige Nanoantennen herzustellen. Das Besondere daran: Bei Spannungen zwischen plus und minus 1 Volt in einem Elektrolyten schalten die optischen Eigenschaften des Materials zwischen metallisch reflektierend und glasartig durchsichtig hin und her, und das mit Videoraten von 30 Hertz. Die Nanoantennen sind weniger als 400 Nanometer (also 0.4 Mikrometer) groß und nur wenige zehn Nanometer dick, erfüllen jedoch trotzdem dieselben Aufgaben wie die viel größeren und dickeren Flüssigkristalle. Damit erreichen sie bereits jetzt Pixeldichten von den geforderten 50 000 dpi.
Anwendungen auch in Handykameras und beim autonomen Fahren
Julian Karst formte aus diesen Nanoantennen ein einfaches Hologramm, das bei Anlegen einer schwachen elektrischen Spannung einen infraroten Laserstrahl um 10 Grad zur Seite ablenkte. Momentan arbeitet er zusammen mit dem koreanischen Postdoktoranden Dr. Yohan Lee daran, diese Ablenkung auch variabel zu machen, damit Automobilzulieferer sie für ein LIDAR-System in autonom fahrenden Autos einsetzen können. Zudem stellte Karst auch das Hologramm einer optischen Linse her, die mittels 1-Volt-Spannung ein- und ausgeschaltet werden kann. Diese Technik wird extrem wichtig sein, um in Smartphone-Kameras oder optischen Sensoren auf Knopfdruck eine andere Abbildung einzustellen, zum Beispiel, um in ein Bild hinein zu zoomen. Momentan setzen Smartphone-Hersteller dafür noch bis zu vier verschiedene Linsen ein.
In Zukunft wollen Harald Giessen und sein Team jeden einzelnen Pixel gezielt ansteuern, um die Hologramme nach Belieben ändern und umschalten zu können. Auch müssen die optischen Eigenschaften vom nahen infraroten Spektralbereich ins sichtbare Spektrum geschoben werden, was gezielte Forschungen zusammen mit Chemikern und Materialwissenschaftlern erfordert. Zusammen mit der Elektrotechnik sowie dem Maschinenbau sollen dann erstmals integrierte elektrisch schaltbare optische Displays und die ersten beweglichen Miniaturhologramme für AR/VR Brillen hergestellt werden.