Graphens Supraleitung entziffern
Theoretischer Ansatz zur Erklärung der kürzlich entdeckten Supraleitung in dreilagigem Graphen veröffentlicht
IST Austria
Die Rätsel und ihre Lösung
Supraleitung beruht auf der Paarung freier Elektronen im Material trotz ihrer Abstoßung aufgrund ihrer gleichen negativen Ladung. Diese Paarung erfolgt zwischen Elektronen mit entgegengesetztem Spin (eine Quanteneigenschaft, die mit dem Drehimpuls vergleichbar, aber nicht identisch ist) durch Schwingungen des Kristallgitters (so genannte Phononen). Der Spin ist eine Eigenschaft eines Teilchens, die mit einer Rotation vergleichbar, aber nicht ident ist. Die besagte Art von Paarung ist zumindest in herkömmlichen Supraleitern der Fall. „Angewandt auf dreischichtiges Graphen“, so Co-Autor Ghazaryan, „haben wir zwei Rätsel identifiziert, die mit der konventionellen Supraleitung nur schwer in Einklang zu bringen sind.“
Erstens sollte sich der elektrische Widerstand oberhalb einer Schwellentemperatur von etwa -260 Grad Celsius in gleichen Schritten mit steigender Temperatur erhöhen. Er bleibt jedoch bis -250 Grad Celsius konstant. Zweitens impliziert die Paarung zwischen Elektronen mit entgegengesetztem Spin eine Kopplung, die im Widerspruch zu einem anderen experimentell beobachteten Merkmal steht, nämlich dem Vorhandensein einer angrenzenden Konfiguration mit vollständig ausgerichteten Spins – vereinfacht gesagt: Magnetismus. „In der Arbeit zeigen wir, dass beide Beobachtungen erklärbar sind“, fasst Gruppenleiter Maksym Serbyn zusammen, „wenn man annimmt, dass eine Wechselwirkung zwischen den Elektronen den ‚Klebstoff‘ liefert, der sie zusammenhält. Das führt zu einer unkonventionellen Supraleitung.“
Wenn man alle möglichen Elektronenzustände in einem bestimmten Diagramm aufzeichnet und dann die besetzten von den unbesetzten mit einer Linie trennt, nennt man diese Trennlinie eine Fermi-Fläche. Experimente an Graphen liefern Diagramme mit zwei Fermi-Flächen, die eine ring-ähnliche Form bilden. In ihrer Arbeit greifen die Forscher auf eine Theorie von Kohn und Luttinger aus den 1960er-Jahren zurück. Sie zeigen, dass eine solche ringförmige Fermi-Fläche einen Mechanismus für die Supraleitung begünstigt, der nicht mit Phononen, sondern nur mit Elektronen zusammenhängt. Sie schlagen Versuchsanordnungen vor, um ihr Argument zu testen, und bieten Wege zur Erhöhung der kritischen Temperatur an, bei der Supraleitung auftritt.
Die Vorteile, Supraleitung in Graphen zu verstehen
Supraleitung wurde zwar auch bei anderem dreischichtigen und zweischichtigen Graphen beobachtet, doch müssen diese bekannten Materialien speziell hergestellt werden und sind aufgrund ihrer geringen Stabilität schwer zu kontrollieren. Rhomboedrisches dreischichtiges Graphen ist zwar selten, kommt aber in der Natur vor. Die vorliegende Forschungsarbeit hat das Potenzial, seit langem bestehende Probleme in der Physik der kondensierten Materie zu lösen und den Weg für potenzielle Anwendungen von Supraleitung und Graphen zu ebnen.