Lithium aus Chile, Gas aus Russland: In «made in Germany» stecken Rohstoffe und Vorprodukte aus der ganzen Welt
Deutsche Chemie- und Pharmaindustrie verbraucht riesige Mengen Gas und Öl
(dpa) Jahrzehntelang profitierte Deutschland vom freien Welthandel, der den Zugang zu billigen Produkten und Rohstoffen ermöglichte. Die Folgen der Abhängigkeit von Zulieferungen aus dem Ausland zeigten sich bereits in der Corona-Pandemie. Lieferketten rissen, wichtige Rohstoffe wurden knapp. Der Ukraine-Krieg verschärft die Lage für «made in Germany» zusätzlich.
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Autoindustrie: In Autos stecken viele unterschiedliche Rohstoffe und Vorprodukte. Bei den Leichtmetallen Aluminium und Magnesium etwa haben China und Russland besonders hohe Weltmarktanteile, der russische Konzern Rusal gilt als größter einzelner Alu-Anbieter. Ähnlich mächtig ist die Russische Föderation als Lieferant der Edelmetalle Palladium und Platin, die man für Katalysatoren braucht. Außerdem ist Stahl eine unerlässliche Ressource im Automobil- und Motorenbau. Herkömmliches Eisenerz stammt oft von verschiedenen Großförderern wie China, Brasilien, Australien oder Indien. Bei speziellen Stählen mit Chrom, Titan oder Nickel als Bestandteilen kann die Abhängigkeit von bestimmten Quellen höher sein. So hat Russland mit Norilsk Nickel einen der führenden Nickel-Produzenten.
Nickel wird überdies für zahlreiche Batterietypen verwendet, ebenso die Elemente Kobalt, Mangan und Kupfer. In den Batteriezellen von Elektroautos fließt der Strom durch geladene Teilchen (Ionen) des Alkalimetalls Lithium, das derzeit etwa aus Australien, China oder Chile kommt. Für die Akkus und Leistungselektronik von Fahrzeugen werden noch etliche weitere Metalle oder Metallverbindungen verwendet. Ein zentrales Zulieferprodukt sind Halbleitermodule und Mikrochips auf Silizium- oder Germanium-Basis. Sie sind seit der Corona-Krise vielerorts Mangelware. Hier will sich Europas Industrie - wie bei den Batteriezellen - unabhängiger von den bisher dominanten Herstellern aus Asien machen. Zudem sind Autos ohne zahlreiche Kunststoffe für die Innenausstattung nicht denkbar. Zur Kunststoffherstellung werden Erdöl- und Erdgasgemische benötigt.
Maschinenbau: Die Produktpalette reicht von Landwirtschaftsmaschinen über Gabelstapler bis zu Maschinen für die Lebensmittelindustrie. Der Bedarf an Vorprodukten und die Abhängigkeit von Lieferländern ist daher sehr unterschiedlich. Ein wichtiger Werkstoff ist Stahl, den viele Unternehmen jedoch nicht direkt vom Hersteller, sondern über Großhändler beziehen. Die Engpässe auf dem Stahlmarkt infolge des Ukraine-Krieges bekommen die Maschinenbauer deutlich zu spüren. «Besonders betroffen sind Unternehmen, die Stahl für ein aktuelles Projekt brauchen. Sie bekommen teilweise nicht einmal mehr einen Preis oder Lieferzeiten genannt», berichtet Bianca Illner vom Maschinenbauverband VDMA. Unerlässlich für viele Maschinenbauer sind auch Mikrochips, die in Steuerungselementen stecken und häufig aus China kommen. Gut drei Viertel der Firmen stellen einer VDMA-Umfrage zufolge nach den Erfahrungen in der Pandemie ihre Lieferketten auf den Prüfstand. Sie peilen zum Beispiel ein breiteres Netzwerk an Lieferanten an. Auch eine andere geografische Verteilung der Lieferanten spielt in vielen Betrieben eine Rolle.
Chemie/Pharma: Die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie verbraucht riesige Mengen Gas und Öl: Sie setzt laut dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) pro Jahr 2,8 Millionen Tonnen Erdgas als Rohstoff und 99,3 Terawattstunden Erdgas für die Erzeugung von Dampf und Strom ein. Zudem benötigt die Branche über 14 Millionen Tonnen Rohbenzin als Rohstoff. Die Sorge vor einem Energie-Embargo gegen Russland ist daher groß. «In allen Unternehmen arbeiten jetzt täglich Krisenstäbe und Teams daran, die spezifische Situation der Energieversorgung zu prüfen, verschiedene Szenarien einer Drosselung der Belieferung mit Erdgas zu analysieren und Vorbereitungen zu treffen», sagte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Der Verband betont, der Energieverbrauch je Produkteinheit habe sich seit 1990 halbiert.
Wichtigste Importländer für Chemie-Erzeugnisse waren nach jüngsten Zahlen von 2020 die Niederlande, Belgien und Frankreich. Russland steht mit einem Anteil von 1,3 Prozent auf Platz 18. Für den Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft seien nicht-fossile Rohstoffe in den Wertschöpfungsketten wichtig, zum Beispiel Seltene Erden, Lithium, Nickel oder Phosphor. Dabei ist die Branche von China (Seltenen Erden), Chile und Bolivien (Lithium) und Kasachstan (Phosphor) abhängig.
Elektroindustrie: Die deutsche Elektro- und Digitalindustrie ist eng in den internationalen Warenverkehr eingebunden. Im vergangenen Jahr standen den Ausfuhren im Wert von 225 Milliarden Euro Einfuhren für 222 Milliarden Euro gegenüber, wie der Branchenverband ZVEI berichtet. Mit rund 80 Milliarden Euro sind darin Vorprodukte enthalten, die ganz überwiegend aus der EU (31 Mrd), Asien (24 Mrd) und den USA (5 Mrd) stammen. Auf weniger als eine Milliarde Euro kamen Vorprodukte aus Russland, Belarus und der Ukraine, so dass direkte Kriegsausfälle von geringer Bedeutung sind.
Schon während der Coronakrise zeigte sich die starke Abhängigkeit von Halbleitern aus asiatischen Fabriken. Der ZVEI unterstützt Förderprojekte, die Produktion dieser Bauteile in Deutschland und Europa zu verstärken. Bereits im November hatten bei einer Verbandsumfrage 70 Prozent der Unternehmen berichtet, dass sie ihre Lieferketten für Rohstoffe diversifizieren wollten. Zudem wollten 65 Prozent ihre Lagerhaltung ausweiten. Mit dem Ukrainekrieg hat sich die Lage noch einmal verschärft: Aktuell erwarten mehr als 60 Prozent, dass sich die Lieferschwierigkeiten unter anderem bei Metallen, Holz und Chemieprodukten noch einmal zuspitzen werden.
Energie: Rund 71 Prozent des Energiebedarfs kamen laut Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen 2021 aus dem Ausland. Bei Mineralöl betrug der Importanteil 98 Prozent, bei Erdgas 95 Prozent. Wichtigste heimische Energieträger waren erneuerbare Energien und Braunkohle. Steinkohle wird in Deutschland hingegen nicht mehr gefördert und muss zu 100 Prozent importiert werden.
«Deutschland hängt erheblich von russischen Energieimporten ab», stellte das Bundeswirtschaftsministerium Anfang April fest. 35 Prozent des Ölverbrauchs, 50 Prozent des Steinkohleverbrauchs und 55 Prozent der Erdgaslieferungen kamen 2021 von dort. Wegen des Ukraine-Krieges will Deutschland jetzt unabhängig von russischen Energielieferungen werden. Bei der Steinkohle soll dies bis zum Herbst erreicht werden, beim Erdöl bis zum Jahresende 2022. Beim russischen Erdgas hofft Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), «bis Mitte 2024 weitgehend unabhängig» zu werden.
Bergbau: Deutschland gewinnt seine Baurohstoffe wie etwa Sand und Kies oder Natursteine sowie verschiedene Industrieminerale wie Steinsalz oder Quarzsand aus heimischen Lagerstätten. «Auch im Weltmaßstab ist Deutschland weiterhin ein wichtiges Bergbauland», so das Bundeswirtschaftsministerium. So war Deutschland 2019 weltweit bei Rohkaolin der drittgrößte, bei Steinsalz der viertgrößte und bei Kalisalz der fünftgrößte Produzent.
Bei Metallen und vielen Industrie-Mineralen ist Deutschland hingegen stark von Importen abhängig. So wird etwa Eisenerz für die deutsche Roheisenerzeugung ausschließlich importiert. Auch der Bedarf an Eisenlegierungen etwa mit Chrom, Mangan oder Molybdän für die Edelstahlindustrie wird laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) fast vollständig durch Importe gedeckt. Die Abhängigkeit von Importen wird allerdings durch Recycling und Zukauf von Schrott und Abfällen deutlich reduziert.
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