So könnten die ersten Biomoleküle entstanden sein

Internationales Team zeigt, dass sich die ersten biologisch relevanten Verbindungen an der Erdoberfläche gebildet haben könnten

14.06.2022 - Deutschland

Die chemischen Vorstufen unserer heutigen Biomoleküle könnten nicht nur in der Tiefsee an hydrothermalen Quellen entstanden sein, sondern auch in warmen Tümpeln an der Erdoberfläche. Die chemischen Reaktionen, die in dieser „Ursuppe“ möglicherweise stattgefunden haben, hat ein internationales Team unter Leitung der Friedrich-Schiller-Universität Jena nun erstmalig im Experiment nachvollzogen. Sogar eine der Nukleobasen, die den Code unseres Erbguts darstellen, könnte demnach von der Oberfläche unseres Planeten stammen.

Anne Günther/Universität Jena

Prof. Dr. Wolfgang Weigand (l.) bespricht sich via Zoom mit dem Kollegen Dr. Mario Grosch.

Die Erde ist rund 4,6 Milliarden Jahre alt und war nicht immer ein lebensfreundlicher Ort. In den ersten einhundert Millionen Jahren bestand die Atmosphäre unseres Planeten vorrangig aus Stickstoff, Kohlendioxid, Methan, Schwefelwasserstoff und Cyanwasserstoff, auch bekannt als Blausäure. Freien Sauerstoff gab es nicht. Unter diesen Bedingungen ist Eisensulfid stabil, das durch Sauerstoff zu Eisenoxid wird. An der Oberfläche von Eisensulfid können biologisch wichtige Reaktionen stattfinden, wie sie auch in bestimmten Enzymen geschehen, die ebenfalls auf Eisen und Schwefel basieren, etwa den Nitrogenasen und Hydrogenasen.

Eine zufällige Wiederentdeckung machte es möglich

„Wir fragten uns: Was passiert, wenn Eisensulfid in dieser vorzeitlichen Atmosphäre mit Blausäure in Kontakt kommt?“, erklärt Prof. Dr. Wolfgang Weigand vom Institut für Anorganische und Analytische Chemie der Universität Jena. „Dabei half es uns, dass wir in einer erfolgreichen Kooperation mit meinem Kollegen Prof. Dr. Christian Robl zufällig eine besonders reaktive Form von Eisensulfid entdeckt hatten. Diese Form wurde schon zweimal in der Geschichte entdeckt und jeweils wieder vergessen: Einmal im Jahr 1700, dann 1920. Die beiden damaligen Doktoranden Robert Bolney und Mario Grosch entdeckten sie dann quasi zum dritten Mal“, fügt er hinzu. Die beiden Chemiker beobachteten im Labor, dass wenn man Eisenpulver mit Schwefel in Wasser rührt und leicht erwärmt, nach einer gewissen Zeit explosionsartig Eisensulfid als Mackinawit entsteht. Dieses Mineral diente im „Ursuppen“-Experiment als Katalysator.

Ein Buchstabe des genetischen Codes kann so entstanden sein

„Zu dem Eisensulfid gaben wir unter Stickstoff-Atmosphäre Kaliumcyanid, Phosphorsäure und Wasser und erwärmten die Mischung auf 80 Grad Celsius. Die Phosphorsäure wandelt das Kaliumcyanid in Blausäure um. Wir nahmen anschließend Gas-Proben aus der Atmosphäre der jeweiligen Gefäße und analysierten sie“, beschreibt Weigand das Experiment. Dabei fanden die Forschenden Substanzen, die als Vorläufer heutiger Biomoleküle gedient haben können.

Im Fachjournal ChemSystemsChem bestätigt das Team unter anderem den Fund von Thiolen, die als Lipide in Zellmembranen vorkommen sowie von Acetaldehyd, das als Vorstufe für DNA-Bausteine (den sogenannten Nucleosiden) benötigt wird. „Besonders aufregend war, dass wir unter diesen milden Bedingungen sogar Adenin nachweisen konnten, das als Nukleobase einer der fünf Buchstaben des genetischen Codes ist“, berichtet der Chemiker begeistert.

Dass das Cyanid wirklich den Kohlenstoff für die gefundenen Moleküle lieferte, konnte das Team mittels Isotopenmarkierung nachweisen. Weigand erklärt: „In diesem Experiment enthielt das Kaliumcyanid nicht das Isotop Kohlenstoff-12, wie es zu 98,9 Prozent in der Umwelt vorkommt, sondern stattdessen das schwerere und ebenfalls stabile Isotop Kohlenstoff-13. Dieses Isotop fanden wir auch in den Reaktionsprodukten. So konnten wir eindeutig nachweisen, dass die Kohlenstoffatome in den gefundenen Molekülen wirklich aus dem markierten Kaliumcyanid stammen.“

Fantasie und Geduld – auch über Jahrzehnte

Besonders dankbar ist Weigand über die Kooperation des gesamten internationalen Teams: „Für so eine Arbeit braucht es wirklich Fantasie und Geduld“, fasst er zusammen. „Und das haben Robert Bolney und Mario Grosch bewiesen. Auch die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen an der University of California in Irvine und an der LMU München war beispielhaft.“

Wie wichtig Fantasie und vor allem Geduld in der Wissenschaft sind, zeigt Wolfgang Weigand selbst. Denn im Jahr 2003 erhielt er für seine Arbeit „Eine mögliche präbiotische Bildung von Ammoniak aus molekularem Stickstoff auf Eisensulfidoberflächen“ gemeinsam mit Prof. Dr. Günter Kreisel von der Universität Jena und Dr. Willi Brand vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie Jena den Thüringer Forschungspreis.

Nun – fast zwanzig Jahre später – konnte Weigand auch zeigen, dass an der Erdoberfläche unter diesen Bedingungen aus Cyanid erste Kohlenstoff-Verbindungen entstanden sein könnten, aus denen später Leben erwachsen ist.

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