Wie spielt man Katalyse-Tetris?
Bild von Tobias Kozlowski auf Pixabay
Spielen Sie gerne Tetris? Besonders in den höheren Leveln, wenn man die kompliziert geformten Teile sehr schnell an den besten Platz schieben muss? In gewisser Weise müssen WissenschaftlerInnen in der computergestützten Katalyseforschung häufig eine ähnliche Aufgabe meistern. Eine der Kerngrößen, die sie regelmäßig mit hochentwickelter quantenmechanischer Simulationssoftware berechnen, ist, wie stark ein Molekül an die Oberfläche eines potentiellen Katalysatormaterials bindet. Die Relevanz dieser Information wurde bereits vor ca. hundert Jahren von Nobelpreisträger Paul Sabatier entdeckt: Ist die Bindung zu schwach, wird das Molekül nicht genügend aktiviert, um effizient in der katalytischen Reaktion umgesetzt werden zu können. Ist die Bindung zu stark, beteiligt es sich nicht mehr an der Reaktion, sondern blockiert einfach nur die Katalysatoroberfläche.
Die quantenmechanischen Berechnungen können diese wichtige Information sehr genau liefern, und dies wird zunehmend für eine erste Einschätzung der Eignung eines neuen Katalysatormaterials eingesetzt, bevor das Material überhaupt arbeitsintensiv real im Labor synthetisiert wird. Leider benötigen die Rechnungen Supercomputer, und genau wie in Tetris gibt es verschiedene Positionen auf der Oberfläche, an die das Molekül anknüpfen könnte. Indem sie alle Positionen jeweils mit einer eigenen Rechnung ausprobieren, bestimmen die WissenschafterInnen, wo das Molekül am besten hinpasst. Größere, komplizierte Moleküle können sich zudem in verschiedener Weise und Orientierung an die Positionen binden – erneut gerade so, wie ein kompliziert geformtes Teil in Tetris. Bedenkt man, dass gerade in wichtigen katalytischen Reaktionen wie der Fischer-Tropsch Reaktion zur Erzeugung synthetischer Kraftstoffe Dutzende Moleküle involviert sind, dauert es einfach zu lange, um die enorme Anzahl an insgesamt nötigen Rechnungen durchzuführen. Game over.
Erfahrene Tetrisspieler entwickeln ein Gefühl dafür, wo sie die Teile am besten hinschieben. „Maschinelle Lernalgorithmen funktionieren genauso“, erklärt Wenbin Xu, Doktorand am Fritz-Haber-Institut. Nachdem sie mit den Ergebnissen vorheriger Rechnungen für ähnliche Moleküle und Katalysatoroberflächen trainiert wurden, können diese Algorithmen verlässliche Vorhersagen über die Bindung machen, ohne den Bedarf an weiterer Supercomputerzeit und viel, viel schneller. Kein Wunder, dass die Entwicklung entsprechender Algorithmen ein heißes Thema ist. Bisher konnten die Algorithmen allerdings nicht richtig mit komplizierteren Molekülen umgehen. Sie konnten nur die Bindung kleiner Moleküle vorhersagen, die in nur einer offensichtlichen Orientierung an die Oberfläche binden können – so wie ein einfaches quadratisches Tetris-Teil. „Die fehlende Information für die Algorithmen war die Verknüpfung innerhalb des Moleküls: Welches Atom bindet an welches…“, beschreibt Prof. Mie Andersen von der Universität Aarhus. Unter Ausnutzung mathematischer Graphentheorie hat das Forschungsteam nun einen Weg gefunden, diese Information geeignet einfließen zu lassen. Ihr neuer maschineller Lernalgorithmus, veröffentlicht in „Nature Computational Science“, liefert bereits genaue Bindungsinformation für größere Moleküle, die zentral in Fischer-Tropsch und anderen Treibstoff erzeugenden Reaktionen beteiligt sind. Die KatalyseforscherInnen haben nun einen mächtigen Tetrisspieler an ihrer Seite.
Originalveröffentlichung
"Predicting binding motifs of complex adsorbates using machine learning with a physics-inspired graph representation."; Nature Computational Science 2, 443 (2022)
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