Nanomaterial aus dem Mittelalter

Geheimnis des Zwischgolds gelüftet

12.10.2022 - Schweiz

Zum Vergolden von Skulpturen verwendeten Künstler im späten Mittelalter oft einen hauchdünnen Goldfilm, der von einer Silberschicht getragen wurde. Nun haben Forschende am Paul Scherrer Institut PSI erstmals dreidimensionale Nanobilder von diesem sogenannten Zwischgold gemacht. Die Aufnahmen zeigen, wie hoch entwickelt die mittelalterliche Fertigungstechnik war, und erklären, warum die Restaurierung dieser Kunstwerke so schwierig ist.

Mahir Dzambegovic, Paul Scherrer Institut

Qing Wu und Benjamin Watts an der cSAXS-Strahllinie, an der sie die Untersuchungen durchführten. Zur Demonstration hält Wu eine Platte mit jeweils einem Segment Blattgold, Zwischgold, Silber (von oben nach unten).

Die Proben, die an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS mit einer der modernsten Mikroskopietechniken untersucht wurden, waren selbst für das erfahrene PSI-Team ungewöhnlich: winzige Stückchen Material von einem Altar und von Holzstatuen aus dem 15. Jahrhundert. Der Altar wurde vermutlich um 1420 in Süddeutschland hergestellt und stand lange Zeit in einer Bergkapelle auf der Alp Leiggern im Wallis. Heute ist er im Landesmuseum in Zürich ausgestellt. In der Mitte sieht man Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm. Die Materialprobe stammt aus einer Gewandfalte der Muttergottes. Die winzigen Proben der anderen beiden mittelalterlichen Skulpturen wurden vom Historischen Museum Basel zur Verfügung gestellt.

Das Material wurde zur Vergoldung der Figuren verwendet. Es handelt sich aber nicht um Blattgold, sondern um eine doppelseitige Folie aus Gold und Silber, wobei das Gold hauchdünn sein kann, da es vom Silberblatt getragen wird. Dieses sogenannte Zwischgold war bedeutend billiger. «Obwohl Zwischgold im Mittelalter häufig verwendet wurde, wusste man bisher wenig über dieses Material», sagt PSI-Physiker Benjamin Watts: «Deshalb wollten wir die Proben mit einer 3-D-Technik untersuchen, die kleinste Details sichtbar machen kann.» Zwar wurde Zwischgold bereits mit anderen Mikroskopietechniken untersucht, doch diese zeigten nur einen zweidimensionalen Querschnitt durch das Material; das heisst, man konnte nur die Schnittoberfläche betrachten und nicht in das Material hineinschauen. Zudem befürchteten die Forschenden, sie könnten beim Schneiden die Struktur der Probe verändert haben. Die jetzt eingesetzte Methode namens ptychografische Tomografie lieferte erstmals ein dreidimensionales Bild vom Inneren des Zwischgolds.

Röntgenstrahlen liefern Beugungsmuster

Dazu verwendeten die Forschenden die Röntgenstrahlen, die in der SLS erzeugt werden. Damit lassen sich Tomogramme herstellen, die Details im Bereich von Nanometern (millionstel Millimeter) sichtbar machen. «Die Ptychografie ist eine komplexe Methode, denn man hat keine Objektivlinse, die auf dem Detektor direkt ein Bild formt», erklärt Watts. Bei der Ptychografie entsteht vielmehr ein Beugungsmuster des beleuchteten Bereichs, also ein Bild mit verschieden intensiven Punkten. Bewegt man die Probe in einer genau definierten Weise, kann man Hunderte von überlappenden Beugungsbildern erzeugen. «Dann können wir diese Beugungsmuster in einer Art grossem Sudoku-Rätsel kombinieren und berechnen, wie das ursprüngliche Bild aussah», sagt der Physiker. Kombiniert man ein Set von ptychografischen Bildern, die aus verschiedenen Richtungen aufgenommen wurden, erhält man ein dreidimensionales Tomogramm.

Der Vorteil dieser Methode ist ihre extrem hohe Auflösung. «Wir wussten, dass die Dicke der Zwischgold-Probe der Maria in der Grössenordnung von hundert Nanometern lag», erzählt Watts: «Wir mussten also in der Lage sein, noch kleinere Details aufzulösen.» Dies gelang den Forschenden mithilfe der ptychografischen Tomografie, wie sie jetzt in der Zeitschrift Nanoscale berichten. «Die 3-D-Bilder zeigen deutlich, wie dünn und gleichmässig der Goldfilm oberhalb der Silberschicht ist», sagt Qing Wu, Erstautorin der Publikation. Die Kunsthistorikerin und Konservierungswissenschaftlerin machte ihre Doktorarbeit an der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit dem PSI und dem Landesmuseum. «Manche dachten, im Mittelalter sei das Technologieniveau niedrig gewesen», so Wu. «Im Gegenteil. Das Mittelalter ist kein finsteres Zeitalter, sondern eine Zeit, in der die Metallurgie und die Vergoldungskunst einen Höhepunkt erreichten.»

Geheimes Rezept enthüllt

Allerdings gibt es keine Aufzeichnungen, wie das Zwischgold damals hergestellt wurde. «Wir nehmen an, dass die Handwerker ihr Rezept geheim gehalten haben», sagt Wu. Aufgrund der Nanobilder und Dokumente aus späteren Epochen weiss die Kunsthistorikerin jedoch heute, wie im 15. Jahrhundert vorgegangen wurde: Zuerst wurde das Gold sowie das Silber separat behämmert, sodass Folien entstanden, wobei die Goldschicht viel dünner sein musste als das Silber. Dann wurden die beiden Metallfolien zusammen weiter bearbeitet. «Dazu brauchte es spezielle Schlagwerkzeuge und Beutel mit verschiedenen Einlagen aus unterschiedlichen Materialien, in welche die Folien eingefügt wurden», erklärt Wu. Das Verfahren war ziemlich kompliziert und benötigte qualifizierte Fachleute.

«Nach unseren Untersuchungen von Zwischgold-Proben beträgt die durchschnittliche Dicke der Goldschicht etwa 30 Nanometer, während das in denselben Regionen und Epochen hergestellte Blattgold etwa 140 Nanometer dick ist», erklärt Wu.  «Auf diese Weise liess sich viel teures Gold sparen.» Dabei gab es eine strikte Materialhierarchie: So wurde beispielsweise für den Heiligenschein einer Figur Blattgold verwendet, für das Gewand jedoch Zwischgold. Weil dieses Material zudem einen kühleren Glanz hat, färbten die Künstler damit häufig die Haare oder Bärte ihrer Statuen. «Es ist verblüffend, dass jemand, der nur mit Handwerkzeugen ausgerüstet war, ein solches Nanomaterial herstellen konnte», sagt Watts. Zugute kam den mittelalterlichen Handwerkern ein spezielles Verhalten der Gold- und Silberkristalle, wenn man diese zusammenpresst: Ihre Ausrichtung bleibt über den ganzen Metallfilm hin erhalten. «Ein Glücksfall der Natur, der dafür sorgt, dass diese Technik funktioniert», sagt der Physiker.

Goldene Oberfläche wird schwarz

Die 3-D-Bilder des Zwischgolds machen aber auch den Nachteil deutlich, den dieses Material hat: Das Silber kann die Goldschicht durchdringen und die Goldoberfläche bedecken. Dabei bewegt sich das Silber überraschend schnell, selbst bei Zimmertemperatur. Schon nach Tagen formt sich eine dünne, durchgängige Silberschicht über dem Gold. An der Oberfläche gelangt das Silber mit Wasser und Schwefel aus der Luft in Kontakt und korrodiert. «Mit der Zeit wird die goldene Oberfläche des Zwischgolds schwarz», erklärt Watts: «Das Einzige, was man dagegen tun kann, ist, die Oberfläche mit einem Lack zu versiegeln, damit der Schwefel das Silber dort nicht angreifen und Silbersulfide bilden kann.» Dieses Problem war den Herstellern des Zwischgolds von Anfang an bekannt. Als Lack verwendeten sie Harz, Leim oder andere organische Substanzen. «Aber nach Hunderten von Jahren hat sich diese Schutzschicht zersetzt und die Korrosion findet weiterhin statt», erklärt Wu.

Die Korrosion fungiert zudem als Antrieb, dass immer mehr Silber an die Oberfläche wandert und unter dem Zwischgold ein Hohlraum entsteht. «Wir waren überrascht, wie deutlich wir diese Lücke unter der Metallschicht sehen konnten», sagt Watts. Vor allem bei der Probe aus dem Gewand von Maria hatte sich das Zwischgold deutlich vom Untergrund abgelöst. «Diese Lücke kann zu mechanischer Instabilität führen, und wir erwarten, dass in einigen Fällen nur noch der Schutzlack über dem Zwischgold das Metallblatt an Ort und Stelle festhält», erklärt Wu. Dies ist ein riesiges Problem für die Restaurierung der Kunstwerke, denn die Silbersulfide sind eingebettet in die Lackschicht oder liegen darunter. «Entfernen wir diese hässlichen Korrosionsprodukte, dann entfällt auch die Lackschicht und wir verlieren alles», sagt Wu. Sie hofft, dass sich in Zukunft ein spezielles Material entwickeln lässt, mit dem man die Lücke füllen und das Zwischgold festhalten kann. «Mit der ptychografischen Tomografie könnten wir überprüfen, wie gut ein solches Konsolidierungsmittel seine Aufgabe erfüllen würde», sagt die Kunsthistorikerin.

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