Chaos auf Nanometer-Skala
Chaosforschung auf Nano-Chemie übertragen
TU Wien
Chaotisches Verhalten kennt man normalerweise von großen Dingen: Vom Wetter zum Beispiel, von Asteroiden im Weltraum, die von mehreren großen Himmelskörpern gleichzeitig angezogen werden, oder von schwingenden Pendeln, die man miteinander koppelt. Auf atomaren Größenordnungen hingegen stößt man normalerweise nicht auf Chaos – dort überwiegen fast immer andere Effekte. Nun konnte man an der TU Wien allerdings erstmals klare Anzeichen von Chaos auf Nanometer-Skala nachweisen – und zwar bei chemischen Reaktionen auf winzigen Rhodium-Kristallen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Nature Communications“ publiziert.
Von inaktiv zu aktiv – und wieder zurück
Die chemische Reaktion, die man analysierte, ist eigentlich ganz einfach: mit Hilfe eines Edelmetall-Katalysators reagiert Sauerstoff mit Wasserstoff zu Wasser, das ist auch das Grundprinzip einer Brennstoffzelle. Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt dabei von äußeren Bedingungen (Druck, Temperatur) ab. Unter bestimmten Voraussetzungen zeigt diese Reaktion allerdings ein oszillierendes Verhalten, obwohl die äußeren Bedingungen konstant sind. „So ähnlich wie ein Pendel von links nach rechts schwingt und wieder zurück, oszilliert die Reaktionsgeschwindigkeit zwischen kaum wahrnehmbar und hoch und damit das katalytische System zwischen inaktiv und aktiv hin und her“, erklärt Prof. Günther Rupprechter vom Institut für Materialchemie der TU Wien.
Ein Pendel ist ein klassisches Beispiel für etwas Berechenbares – wenn man es ein bisschen stört oder es zweimal auf leicht unterschiedliche Arten in Bewegung setzt, verhält es sich danach im Großen und Ganzen gleich. Es ist in gewissem Sinn das Gegenteil von einem chaotischen System, bei dem minimale Änderungen der Ausgangsbedingungen zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen im Langzeitverhalten führen. Ein Paradebeispiel für ein solches chaotisches System sind mehrere Pendel, die mit elastischen Schnüren miteinander verbunden sind.
Zweimal exakt gleiche Anfangsbedingungen sind unmöglich
„Grundsätzlich legen Naturgesetze natürlich immer noch exakt fest, wie sich die Pendel verhalten“, sagt Prof. Yuri Suchorski (TU Wien). „Könnten wir ein solches gekoppeltes System aus Pendeln zweimal exakt auf dieselbe Art starten, würden sich die Pendel beide Male genau gleich bewegen.“ Doch in der Praxis ist das unmöglich: Man wird beim zweiten Mal nie perfekt dieselbe Ausgangssituation herstellen können wie beim ersten mal – und schon ein winziger Unterschied in der Ausgangslage bewirkt, dass sich das System später völlig anders verhält als beim ersten Mal – das ist der berühmte „Schmetterlingseffekt“: Winzige Unterschiede in den Anfangsbedingungen führen zu riesengroßen Unterschieden im Zustand zu einem späteren Zeitpunkt.
Etwas ganz Ähnliches konnte man nun anhand von chemischen Oszillationen auf einem Rhodium-Nanokristall beobachten: „Der Kristall besteht aus vielen verschiedenen winzigen Oberflächen-Facetten, so ähnlich wie ein geschliffener Diamant, allerdings viel kleiner, in einer Größenordnung von Nanometern“, erklären Maximilian Raab und Johannes Zeininger, die die Experimente durchgeführt haben. „Auf jeder dieser Facetten oszilliert die chemische Reaktion, aber die Reaktionen auf benachbarten Facetten sind miteinander gekoppelt.“
Umschalten – von Ordnung zu Chaos
Das Kopplungsverhalten lässt sich nun aber auf bemerkenswerte Art steuern – und zwar, indem man die Menge an Wasserstoff verändert. Zunächst dominiert eine Facette und gibt wie ein Dirigent den Takt vor. Alle anderen Facetten schließen sich an und oszillieren im selben Takt mit. Erhöht man die Wasserstoff-Konzentration, wird die Situation komplizierter. Unterschiedliche Facetten oszillieren mit unterschiedlichen Frequenzen – aber immer noch ist ihr Verhalten periodisch und gut vorhersagbar. Wenn man dann allerdings die Wasserstoff-Konzentration noch weiter erhöht, bricht diese Ordnung plötzlich zusammen. Das Chaos gewinnt, die Oszillationen werden unvorhersehbar, winzige Unterschiede in der Anfangssituation führen zu völlig unterschiedlichen Schwingungsmustern – ein klares Anzeichen von Chaos.
„Das ist bemerkenswert, weil man chaotisches Verhalten in nanometergroßen Strukturen eigentlich nicht erwarten würde“, sagt Yuri Suchorski. Je kleiner das System, desto größer ist der Beitrag des stochastischen Rauschens, eigentlich müsste das Rauschen, das etwas völlig anderes als Chaos ist, das Verhalten des Systems dominieren: umso interessanter, dass es gelungen ist, die Indizien für Chaos „herauszufiltern“. Ein theoretisches Modell, entwickelt von Prof. Keita Tokuda (Universität Tsukuba), hat dabei wesentlich geholfen.
Chaosforschung auf Nano-Chemie übertragen
„An Chaostheorie forscht man seit Jahrzehnten, es ist auch bereits gelungen, diese an chemische Reaktionen in größeren (makroskopischen) Systemen anzuwenden, aber unsere Studie ist der erste Versuch, das umfassende Wissen aus diesem Bereich auf die Nanometer-Skala zu übertragen“, sagt Günther Rupprechter. „Winzige Abweichungen in der Symmetrie des Kristalls können darüber entscheiden, ob sich der Katalysator geordnet und vorhersagbar oder ungeordnet und chaotisch verhält. Das ist für unterschiedliche chemische Reaktionen wichtig – und vielleicht sogar für biologische Systeme.“