Der Aufstieg von Kohlendioxid als erneuerbare Kohlenstoffquelle
Kapazitäten von mehr als 1,3 Millionen Tonnen für Produkte auf CO2-Basis sind bereits vorhanden und werden sich bis 2030 voraussichtlich vervierfachen
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nova-Institut GmbH
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In seinem 2022 veröffentlichten sechsten Sachstandsbericht (IPCC 2022) nennt das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC, Weltklimarat) die Abscheidung und Nutzung von Kohlenstoff (Carbon Capture and Utilisation – CCU) erstmalig als geeignete Lösung zur Eindämmung des Klimawandels. Mehrere Zukunftsszenarien für eine Netto-Null-Chemieindustrie bis zum Jahr 2050 zeigen, dass zwischen 10 und 30% der Nachfrage des produktgebundenen Kohlenstoffs aus der Nutzung von CO2 stammen werden (Kähler et al. 2023).
Das Potenzial von CCU erkennen auch zunehmend mehr globale Marken, die ihre Rohstoffportfolios bereits entsprechend erweitern. Als Schlüssel zur Optimierung des Kosten- Nutzen-Verhältnisses, gilt hierbei eine intensive Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Besonders im Europäischen Raum hemmen mangelnde politische Unterstützungsmaßnahmen größere Investitionen und positive Aussichten einer umfassenden CO2-Nutzung. Im Gegensatz hierzu bieten unter anderem die USA mit dem „Inflation Reduction Act“ und China unterstützende Regelungen an. In den USA fördern staatliche Maßnahmen eine Nutzung von CO2 für Kraftstoffe und Chemikalien durch Abscheidung von atmosphärischem CO2 (Direct Air Capture, DAC) und aus Punktquellen. Dieser Ansatz schließt auch kommerzielle Anlagen ein (de la Garza 2022). Intelligente politische Maßnahmen dieser Art sind notwendig, um erfolgreich die Brücke zwischen heute und den Zielen von 2050 zu schlagen. Zeitgleich müssen sie eine Wettbewerbsfähigkeit der Industrie-Unternehmen im Rahmen der nachhaltigen Transformation gewährleisten.
Glücklicherweise schreiten sowohl die Wissenschaft als auch die Industrie aktiv voran, um erfolgreich CCU-Technologien zu entwickeln und umzusetzen. Derzeit finden sich mehrere Beispiele erfolgreich eingesetzter Technologien, die bereits auf kommerzieller Ebene produzieren, sowie zahlreiche weitere Vorhaben im Labor- und Pilotstadium. CO2 und andere C1-reiche Gase wie Kohlenmonoxid (CO) werden aktuell primär aus fossilen und biogenen Punktquellen abgeschieden, folglich steigt auch die Anzahl der Projekte zur direkten Abscheidung aus der Luft. Diese ermöglichen die Umwandlung von CO2 durch chemische, biotechnologische und elektrochemische Verfahren in Chemikalien, synthetische Kraftstoffe, Polymere, Proteine oder Mineralien.
Die konventionelle chemische Umwandlung von CO2 wird seit Jahrzehnten auf kommerzieller Ebene zur Herstellung von Chemikalien wie Salicylsäure, Harnstoff, Ethylen und Propylencarbonat genutzt. CO2 kann auch direkt verwendet werden, beispielsweise. zur gesteigerten (tertiären) Ölgewinnung (Enhanced Oil Recovery, EOR), als Feuerlöschmittel oder als Wachstumsbeschleuniger für Pflanzen in Gewächshäusern. Neuartige chemische Verfahren konzentrieren sich hierbei auf die CO2-Umwandlung, während die CO2-Hydrierung zu Methan oder Methanol derzeit die vielversprechendsten Ergebnisse zeigt. Erstere kann in das Erdgasnetz eingespeist werden und auf diesem Wege die Abhängigkeit von Erdgaslieferanten verringern. Die letztere bietet hingegen einen einfachen und hocheffizienten Kraftstoff für den Transportsektor oder kann als chemischer Baustein verwendet werden.
Großes Interesse besteht auch an der Fischer-Tropsch-Technologie zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe und Chemikalien. Diese Technologie ist bereits hundert Jahre alt und fand primär zur Kohlevergasung und -verwertung Einsatz. In Verbindung mit CO2-basiertem Synthesegas, lassen sich damit nachhaltig CO2-basierte Kohlenwasserstoffe wie Kerosin, Diesel, Naphtha und Wachse herstellen. Eine starke Aktivität ist auch im Bereich des CO2-basierten Kerosins zu beobachten. Dieses ist der aktuell wichtigste nachhaltige Flugkraftstoff (SAF). Auch Polycarbonate, Polyurethane (PU) und Polyethylen (PE) auf CO2-Basis sind auf dem Markt erhältlich. CO2 kann zudem zu einem Karbonat für Baumaterialien mineralisiert werden. Die auf dem Markt befindlichen Technologien nutzen den Karbonisierungsprozess zur Herstellung von Ersatzprodukten der Zementindustrie.
Die bekanntesten biotechnologischen Umwandlungsansätze auf CO2-Basis erzeugen Methan und Ethanol. Letzteres wird in kommerziellem Maßstab hergestellt und dient als Kraftstoff und Baustein der chemischen Industrie (z. B. für Ethylenglykol) und der Polymerindustrie (Polyethylen). Durch Gasfermentation können zudem biologisch abbaubare Polymere, sogenannte Polyhydroxyalkanoate (PHA), hergestellt werden, die im Handel erhältlich sind. Mehrere Pilotanlagen zur Herstellung von Chemikalien und Proteinen durch Gasfermentation sind bereits in Betrieb. Die fortgeschrittensten elektrochemischen Verfahren ermöglichen die Umwandlung von CO2 in CO (oder Synthesegas), Methanol, Ameisensäure oder Ethylen. Zahlreiche Pilotanlagen sind in Betrieb. Die CO- (oder Synthesegas-) Produktion über diesen Weg wird bald in einer kommerziellen Anlage in Kombination mit der Fischer-Tropsch-Technologie zur Produktion einer breiten Palette von Kohlenwasserstoffen eingesetzt werden.
Die aktuelle Gesamtproduktionskapazität neuartiger CO2-basierter Produkte wird für das Jahr 2022 auf ca. 1,3Mt/a geschätzt. Hierbei wird die Produktionskapazität von der Herstellung CO2-basierter aromatischer Polycarbonate, Ethanol aus abgeschiedenem CO/CO2, aliphatischem Polycarbonat und Methanol dominiert. Die Kapazitätsprognose CO2-basierter Produkte bis zum Jahr 2030 wird geschätzt mehr als 6Mt/a betragen. Eine hohe Wachstumsdynamik zeigen in diesem Zusammenhang besonders Methanolprojekte, Methananlagen, Ethanol und Kohlenwasserstoffe – letztere insbesondere für den Luftfahrtsektor.
Produkte auf CCU-Basis erzeugen im Vergleich zu vergleichbaren Produkten auf fossiler Basis geringere Treibhausgasemissionen. Dies greift, sofern die gesamte zur Abscheidung und Umwandlung von CO2 genutzte Energie aus erneuerbaren Quellen und grünem Wasserstoff stammt. Schon heute erreichen viele Technologien im Vergleich zu fossilen Technologien hohe Treibhausgasemissionsreduzierungen von bis zu 90%.