Wie aus Kugeln Würmchen werden: Durchbruch mit NMR-Spektroskopie
Eine bislang unbekannte Form der Hydrogel-Bildung ist aufgeklärt: Chemiker fanden ungewöhnliche Wechselwirkungen zwischen Polymeren
Theresa Zorn, University of Würzburg
In der Wissenschaft spielen Hydrogele ebenfalls eine Rolle. Aus Sicht der Chemie sind sie lange, dreidimensional miteinander vernetzte Polymer-Moleküle, die Hohlräume bilden. Darin können sie Wassermoleküle aufnehmen und festhalten.
Im Arbeitskreis des früheren Würzburger Chemieprofessors Robert Luxenhofer wird die Eignung von Hydrogelen für die Biofabrikation getestet: Sie kommen zum Beispiel für den 3D-Druck als Gerüststrukturen in Frage, auf denen sich Zellen ansiedeln lassen. Auf diese Weise können zum Beispiel künstliche Gewebe für die medizinische Forschung und für regenerative Therapien hergestellt werden.
Hydrogel-Bildung gab Rätsel auf
Bei diesen Forschungen fiel Dr. Lukas Hahn in Luxenhofers Team eine ungewöhnliche Form der Hydrogel-Bildung auf. Er beobachtete sie bei Polymeren, die für die Nanomedizin angedacht waren, speziell für den Wirkstofftransport.
Diese Polymere ordnen sich in 40 Grad warmem Wasser von alleine zu kugelförmigen Nanopartikeln an. Wird das Wasser auf unter 32 Grad heruntergekühlt, drängen sich die Kugeln zu wurmförmigen Strukturen zusammen und es entsteht ein Gel. Beim Erwärmen löst es sich wieder auf.
„Dieses Verhalten ist bei synthetischen Polymeren sehr selten und war in diesem Fall vollkommen unerwartet“, erklärt Robert Luxenhofer, der mittlerweile an der Universität Helsinki lehrt und forscht. Wenn es doch einmal vorkommt, beruhe die Gelbildung in der Regel auf Wasserstoffbrücken – das sind Anziehungskräfte zwischen polaren funktionellen Gruppen unter Beteiligung von Wasserstoffatomen, die stabilisierend wirken. Solche Brücken sind zum Beispiel für die Struktur und Funktion von Proteinen von entscheidender Bedeutung.
Ganz anders liegen die Dinge aber bei den Polymeren, um die es hier geht. Sie sind von ihrer chemischen Struktur her überhaupt nicht in der Lage, Wasserstoffbrücken miteinander zu bilden. Offensichtlich war die Forschungsgruppe also auf einen unbekannten Mechanismus der Gelbildung gestoßen.
Durchbruch mit NMR-Spektroskopie
Um das Rätsel zu lösen, suchte Robert Luxenhofer an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) die Kooperation mit Chemieprofessorin Ann-Christin Pöppler, einer Expertin für die Charakterisierung von Nanopartikeln aus Polymeren. Ihr Team nahm in Kooperation mit weiteren Forschungsgruppen die eigenartige Form der Gelbildung genauer unter die Lupe – ein komplexes Puzzle, dessen Lösung gut zwei Jahre dauerte.
„Wir konnten den unbekannten Mechanismus aufklären, weil wir eine große Vielfalt von Werkzeugen eingesetzt haben. Den Durchbruch aber brachten am Ende verschiedene Methoden der NMR-Spektroskopie“, erklärt die Chemikerin. Ihre Doktorandin Theresa Zorn fand heraus, was in diesem Fall zur Gelbildung führt: Es sind spezifische Wechselwirkungen zwischen Amidgruppen der wasserlöslichen und Phenylringen der nicht-wasserlöslichen Polymerbausteine. Durch diese Wechselwirkungen verdichten sich die kugeligen Nanopartikel und strukturieren sich zu wurmförmigen Gebilden um.
Die Erkenntnisse konnten mit theoretischen Berechnungen bestätigt werden: Das gelang Dr. Josef Kehrein, einem ehemaligen Mitarbeiter von JMU-Professor Christoph Sotriffer und Fachmann für die computergestützte Modellierung von dreidimensionalen Wechselwirkungen zwischen Molekülen. Auch er ist mittlerweile in Helsinki tätig.
Veröffentlicht sind die Ergebnisse in ACS Nano, einem Journal der American Chemical Society (ACS). Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Academy of Finland und andere Unterstützer haben die Arbeiten finanziell gefördert.
Welche Forschungsschritte folgen
Wie geht es nun weiter? Das Forschungsteam ist davon überzeugt, dass der neu entdeckte Mechanismus der Hydrogel-Bildung auch für anderen Polymere und für deren Wechselwirkungen mit biologischen Geweben relevant ist.
Darum will das Team die Polymere zum einen chemisch modifizieren – um zu sehen, inwiefern sich dies auf ihre Eigenschaften und die Hydrogelierung auswirkt. Womöglich lassen sich die Gelierungstemperatur sowie die Stärke und Beständigkeit des Gels gezielt beeinflussen. Aus den modifizierten Materialien könnte man diejenigen aussuchen, die sich am meisten für einen Einsatz in der Biofabrikation eignen.
Gefördert vom Universitätsbund Würzburg will Ann-Christin Pöpplers Team außerdem untersuchen, ob sich die Nanopartikel und damit auch das Hydrogel mit „Gastmolekülen“ beladen lassen. Das ist eventuell für medizinische Anwendungen interessant – wenn sich das Gel beim Erwärmen auf Körpertemperatur auflöst, könnte es Wirkstoffe freisetzen, mit denen es zuvor bestückt wurde. Denkbar sind Anwendungen in Form von Implantaten, Pflastern oder Kontaktlinsen.