USA werden für die europäische Chemieindustrie zunehmend attraktiv
Spürbare Skepsis gegenüber China
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81 Prozent der Befragten rechnen damit, dass Teile der Wertschöpfungskette in der Chemieindustrie aus Europa abgezogen werden. Als Ursachen nennen sie hohe Energiekosten, strenge ESG-Anforderungen, attraktive Rahmenbedingungen außerhalb Europas sowie geopolitische Entwicklungen. Mehr als zwei Drittel der Befragten (68%) sehen zudem die Gefahr eines dauerhaften Nachfragerückgangs für den Chemiesektor in Europa.
Kein einheitliches Bild zeigt sich bei der Frage nach den Auswirkungen der EU-Regulierung, beispielsweise mit Blick auf den Europäischen Emissionshandel und den Mechanismus zum CO2-Grenzausgleich (Carbon Border Adjustment Mechanism). So befürchten 63 Prozent der Befragten, die Regulatorik gefährde die Exportfähigkeit der Branchenunternehmen. Gleichzeitig sehen 70 Prozent darin eine Chance, Investitionen und Innovationen in Nachhaltigkeit sowie neue Geschäftsmodelle zu beschleunigen.
„Es ist höchste Zeit, die Weichen in Richtung nachhaltiges Wachstum zu stellen. Zum einen belastet die teure Energie die Wettbewerbsfähigkeit der Chemieunternehmen in Europa. Zum anderen erschwert das unsichere regulatorische Umfeld die langfristige Planbarkeit“, sagt Stefan Van Thienen, Partner bei Deloitte und verantwortlich für den Chemiesektor. „Die Chemiehersteller tun gut daran, regulatorische und geopolitische Entwicklungen kontinuierlich zu bewerten und in ihre Strategien einzubinden. Das Denken in Szenarien gewinnt enorm an Bedeutung“, so Van Thienen weiter.
Spürbare Skepsis gegenüber China
58 Prozent der Befragten berichten, dass sie bereits Investitionen in die USA verlagern. Und 71 Prozent erwägen erste oder weitere Schritte in diese Richtung, denn die Erwartungen sind deutlich: 87 Prozent rechnen damit, dass die USA bis mindestens 2030 ihren Kostenvorteil bei Energie und Rohstoffen gegenüber Europa aufrechterhalten werden.
Skeptischer sind die Umfrageteilnehmenden indessen gegenüber China. So berichten 51 Prozent, dass sie künftige Investitionen in China neu bewerten. Auch wollen 71 Prozent digitale und physische Vermögenswerte in China nun unabhängiger vom Rest ihres Unternehmens verwalten.
„Angesichts geopolitischer Spannungen überprüfen die europäischen Chemiehersteller insgesamt ihre Investitionsstrategien. Die Unternehmen regionalisieren ihre Lieferantennetzwerke und Produktionskapazitäten und nutzen Investitionsanreize, um sich resilienter aufzustellen“, erklärt Alexander Keller, Director und Chemie-Experte bei Deloitte.
Regulierung und veränderte Kundenwünsche treiben grüne Transformation an
Zwei von drei Befragten (66%) betrachten die ESG-Transformation als einen Grund, das eigene Geschäftsmodell zu überdenken. Allerdings sorgt die Weiterentwicklung der Regulierung für Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen. 58 Prozent der Befragten geben an, dass sich dadurch Planung und Umsetzung von Investitionen verzögern. Auch befürchten 56 Prozent, die anhaltenden Energie- und Wettbewerbsfähigkeitsprobleme in Europa könnten die ESG-Transformation verlangsamen.
Als zentrale Treiber der Transformation geben die Befragten die strengere Regulierung und geänderte Kundenwünsche an. Diese Faktoren sind für 77 bzw. 70 Prozent der wichtigste Auslöser. Weitere genannte Ursachen sind die notwendige Neuausrichtung des Produktportfolios (53%), Druck von Investoren (50% Prozent) und Reputationsrisiken (48%).
Stefan Van Thienen: „Die Jahre 2023 und 2024 werden für die Chemieindustrie in Europa entscheidend sein. Die Unternehmen werden langfristige Investitionsentscheidungen treffen müssen. Es gilt, die Net-Zero-Ziele, die Kreislaufwirtschaft und die Energiewende jetzt in den Fokus zu nehmen und in konkrete Aktionspläne zu überführen. Eine Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle ist dabei dringend notwendig. Nur so können wir auch in den kommenden Jahrzehnten eine erfolgreiche und prosperierende Chemiebranche in Europa sichern.“
Für den „European Chemicals Pulse Check“ hat Deloitte im April 2023 66 Führungskräfte von europäischen Chemieunternehmen und Industrieverbänden befragt. Die Umfrageteilnehmenden vertreten unterschiedliche Zweige der Branche wie Basis-, Spezial- und Kunststoffchemie. 41 Prozent der Befragten sind in Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als zehn Milliarden Euro tätig. 30 Prozent vertreten Unternehmen mit einem Umsatz zwischen zwei und zehn Milliarden Euro.