Experimente zeigen, dass Wasser mit Elektronen in Graphen "sprechen" kann
Ergebnisse könnten zu Anwendungen in der Wasserreinigung und Entsalzung führen - und vielleicht sogar zu Computern auf Flüssigkeitsbasis
Seit 20 Jahren rätseln Wissenschaftler*innen darüber, wie sich Wasser in der Nähe von Kohlenstoffoberflächen verhält. Es kann viel schneller fließen, als nach herkömmlichen Strömungstheorien zu erwarten wäre, oder seltsame Anordnungen wie quadratisches Eis bilden. Nun berichtet ein internationales Team von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung in Mainz, des katalanischen Instituts für Nanowissenschaften und Nanotechnologie (ICN2, Spanien) und der Universität Manchester (England) in einer in Nature Nanotechnology veröffentlichten Studie, dass Wasser direkt mit den Elektronen des Kohlenstoffs wechselwirken kann: ein Quantenphänomen, das in der Flüssigkeitsdynamik sehr ungewöhnlich ist.
Eine Flüssigkeit, wie z. B. Wasser, besteht aus kleinen Molekülen, die sich zufällig bewegen und ständig miteinander kollidieren. Ein Festkörper hingegen besteht aus regelmäßig angeordneten Atomen, die in einer Elektronenwolke „baden“. Man geht davon aus, dass die feste und die flüssige Welt nur durch Zusammenstöße der Moleküle der Flüssigkeit mit den Atomen des Festkörpers interagieren: Die Flüssigkeitsmoleküle "sehen" die Elektronen des Festkörpers nicht. Dennoch wurde vor etwas mehr als einem Jahr in einer paradigmenverändernden theoretischen Studie vorgeschlagen, dass an der Grenzfläche zwischen Wasser und Kohlenstoff die Moleküle der Flüssigkeit und die Elektronen des Festkörpers sich anziehen oder sich gegenseitig abstoßen. Dadurch wird der Flüssigkeitsstrom verlangsamt: Dieser neue Effekt wird Quantenreibung genannt. Der theoretische Vorschlag konnte in der Studie jedoch noch nicht experimentell überprüft werden.
"Wir haben nun Laser eingesetzt, um die Quantenreibung in Aktion zu sehen", erklärt der Hauptautor der Studie, Dr. Nikita Kavokine, ein Forscher am Max-Planck-Institut in Mainz und am Flatiron Institute in New York. Das Team untersuchte eine Graphen-Probe - eine einzelne Monolage von Kohlenstoffatomen, die in einem Wabenmuster angeordnet sind. In den Experimenten verwendeten die Forschenden ultrakurze rote Laserpulse (mit einer Dauer von nur einem Millionstel einer Milliardstel Sekunde), um die Elektronenwolke des Graphens augenblicklich zu erhitzen. Anschließend überwachten sie die Abkühlung mit Terahertz-Laserpulsen, die empfindlich auf die Temperatur der Graphenelektronen reagieren. Diese Technik wird optische Pump-Terahertz-Probe-Spektroskopie (engl. OPTP) genannt.
Zur Überraschung der Wissenschaftler*innen kühlte die Elektronenwolke schneller ab, wenn das Graphen in Wasser getaucht war, während das Eintauchen des Graphen in Ethanol keinen Unterschied in der Abkühlungsrate machte. "Dies war ein weiterer Hinweis darauf, dass das Paar aus Wasser und Kohlenstoff irgendwie besonders ist, aber wir mussten noch verstehen, was genau vor sich geht", sagt Kavokine. Eine mögliche Erklärung war, dass die heißen Elektronen auf die Wassermoleküle anziehen und abstoßen und hierdurch einen Teil ihrer Wärme abzugeben: mit anderen Worten, sie kühlen durch Quantenreibung. Daraufhin beschäftigten sich die Forschenden mit dieser Theorie und tatsächlich: Die Quantenreibung zwischen Wasser und Graphen könnte die experimentellen Daten erklären.
"Es ist faszinierend zu sehen, dass die Ladungsträgerdynamik von Graphen uns immer wieder mit unerwarteten Mechanismen überrascht. Diesmal geht es um Fest-Flüssig-Wechselwirkungen mit Molekülen, die keine anderen sind als das allgegenwärtige Wasser", kommentiert Prof. Klaas-Jan Tielrooij vom ICN2 (Spanien) und der TU Eindhoven (Niederlande). Das Besondere an Wasser ist, dass seine Schwingungen, die so genannten Hydronen, mit den Schwingungen der Graphen-Elektronen, den so genannten Plasmonen, synchron sind. So wird die Wärmeübertragung zwischen Graphen und Wasser durch einen als „Resonanz“ bezeichneten Effekt verstärkt.
Die Experimente bestätigen somit den grundlegenden Mechanismus der Fest-Flüssig-Quantenreibung. Dies wird Auswirkungen auf Filtrations- und Entsalzungsprozesse haben, bei denen die Quantenreibung genutzt werden könnte, um die Permeationseigenschaften der nanoporösen Membranen einzustellen. "Unsere Ergebnisse sind nicht nur für Physiker interessant, sondern haben auch Auswirkungen auf die Elektrokatalyse und die Photokatalyse an der Fest-Flüssig-Grenzfläche", sagt Xiaoqing Yu, Doktorandin am Max-Planck-Institut in Mainz und Erstautorin der Arbeit.
Die Entdeckung ist darauf zurückzuführen, dass ein experimentelles System, ein Messinstrument und ein theoretischer Rahmen zusammengebracht wurden, die nur selten Hand in Hand gehen. Die größte Herausforderung besteht nun darin, die Wechselwirkung zwischen Wasser und Elektronen zu kontrollieren. "Unser Traum ist es, die Quantenreibung nach Bedarf ein- und auszuschalten", sagt Kavokine. "Auf diese Weise könnten wir intelligentere Wasserfiltrationsprozesse oder vielleicht sogar flüssigkeitsbasierte Computer entwickeln."