Wasserstoff: „Es geht darum, dass wir in Deutschland unsere Technologieführerschaft festigen und weiter ausbauen“
Interview mit Prof. Peter Wasserscheid, Gründungsdirektor des Instituts für nachhaltige Wasserstoffwirtschaft (INW) am Forschungszentrum Jülich
Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau
Welche Neuerungen sind Ihnen in der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie aufgefallen?
Peter Wasserscheid: Interessant ist, dass die heimische Erzeugung von Wasserstoff gestärkt werden soll. Das Ziel für heimische Elektrolysekapazität in 2030 wird von 5 Gigawatt auf mindestens 10 Gigawatt erhöht. Der restliche Bedarf soll durch Importe gedeckt werden. So soll insgesamt die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff sehr stark erhöht werden. Das ist ein starkes Signal. Um diesen Wasserstoff zu verteilen, wird ein Wasserstoff-Startnetz beschrieben, das in Deutschland Wasserstoff-Pipelines von 1800 Kilometer Länge umfassen soll. Dieses soll in ein europäisches Netz mit zusätzlich 4500 Kilometern eingebunden werden. Damit sollen große Industriestandorte mit hohen Verbräuchen ab 2030 mit Wasserstoff versorgt werden können. Das ist wichtig, weil so ein Wasserstoff-Absatzmarkt entsteht und die Erzeuger und Importhäfen mit den großen Verbrauchern im Land verbunden werden können.
An der Fortschreibung der Wasserstoffstrategie gibt es Kritik. Umweltverbände bemängeln, dass Arten der Wasserstoffproduktion mit einbezogen werden, die weniger nachhaltig sind als grüner Wasserstoff. Wie bewerten Sie das?
Als sinnvollen Pragmatismus. Das große Ziel ist klar: Wir wollen so schnell wie möglich so viel grünen Wasserstoff wie möglich produzieren. Aber gleichzeitig werden mit blauem, türkisem oder orangenem Wasserstoff Transformationspfade geöffnet, die wirtschaftlich sinnvoll sind und die auch Schritte auf dem richtigen Weg einer emissionsfreien Energieversorgung sind. Blauer Wasserstoff wird zwar unter Einsatz von Erdgas hergestellt. Das dabei erzeugte CO2 wird aber eingesammelt und beispielsweise unter dem Meer in alten Gaslagerstätten gespeichert. Es gelangt also nicht in die Atmosphäre und trägt damit nicht zum Klimawandel bei. Natürlich ist grüner Wasserstoff nachhaltiger, weil er ohne fossile Rohstoffe auskommt. Aber die anderen Wasserstoff-Arten ermöglichen mit vertretbaren Nebenwirkungen den schnelleren Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft, solange es nicht genügend grünen Wasserstoff gibt.
Was leiten Sie mit Bezug auf die Arbeit am Forschungszentrum Jülich aus der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie ab?
Wichtiger Bestandteil der Fortschreibung ist der beschleunigte Markthochlauf von Wasserstoff und Wasserstoff-Derivaten, also zum Beispiel Ammoniak, LOHC (flüssige organische Wasserstoffträger), Methanol, DME (Dimethylether) und synthetischem Methan. Das sind chemische Speicherformen von Wasserstoff, die es erlauben, große Mengen Wasserstoff in bestehenden Infrastrukturen wie Tanklagern oder Tankfahrzeugen zu lagern und zu transportieren. Diese Technologien sollen dabei helfen, Wasserstoff in Deutschland günstiger verfügbar zu machen, damit die vollständige Defossilisierung in der Industrie, in der Mobilität großer und schwerer Fahrzeuge und in der bedarfsgerechten Stromerzeugung so schnell wie möglich gelingt. Und es geht darum, dass wir in Deutschland unsere Technologieführerschaft festigen und weiter ausbauen, die wir in zahlreichen Wasserstofftechnologien heute haben. Hier ergibt sich der unmittelbare Bezug zu den Wasserstoff-Aktivitäten des Forschungszentrums Jülich. Ein wichtiges Beispiel ist das neue Helmholtz-Cluster Wasserstoff HC-H2, in dem diese sehr vielversprechenden Technologien zur Lagerung und zum Transport von Wasserstoff weiterentwickelt und im Realeinsatz demonstriert werden. Das HC-H2 leistet damit nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Energiewende, sondern auch zum notwendigen Strukturwandel im Rheinischen Revier.