Neues topologisches Metamaterial verstärkt Schallwellen exponentiell
Ella Maru Studio
Um dies zu erreichen, hat das Forschungsteam nanomechanische Resonatoren durch Strahlungsdruckkräfte in Wechselwirkung mit Laserlicht gebracht. Die Entdeckung, die in Nature veröffentlicht wurde, ist das Ergebnis einer internationalen Zusammenarbeit zwischen AMOLF, dem Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen, der Universität Basel, der ETH Zürich und der Universität Wien.
Die „Kitaev-Kette“ ist ein theoretisches Modell, das die Physik der Elektronen in einem supraleitenden Material, insbesondere einem Nanodraht, beschreibt. Das Modell ist vor allem wegen der Vorhersage spezieller Anregungszustände an den Enden eines solchen Nanodrahtes von Bedeutung: den Majorana-Nullmoden. Diese sind wegen ihrer möglichen Verwendung in Quantencomputern von großem Interesse. AMOLF-Gruppenleiter Ewold Verhagen: „Wir waren an einem Modell interessiert, dessen mathematischer Aufbau identisch ist, Wellen aber wie Licht oder Schall und nicht Elektronen beschreibt. Da diese Wellen aus Bosonen (Photonen oder Phononen) und nicht aus Fermionen (Elektronen) bestehen, ging man davon aus, dass sie sich sehr unterschiedlich verhalten würden. Bereits 2018 war man der Auffassung, dass eine „bosonische Kitaev-Kette“ ein faszinierendes Verhalten zeigen würde, das bis dato von keinem natürlichen Material und auch von keinem Metamaterial bekannt ist. Das Interesse vieler Forscherinnen und Forscher war groß, dies zu zeigen, doch die experimentelle Umsetzung erschien außer Reichweite.“
Optische Federn
Die „bosonische Kitaev-Kette“ ist im Grunde eine Kette von gekoppelten Resonatoren. Es handelt sich um ein Metamaterial, d. h. um ein synthetisches Material mit künstlichen Eigenschaften. Die Resonatoren stellen die „Atome“ eines Materials dar, und die Art und Weise, wie sie miteinander gekoppelt sind, steuert das kollektive Verhalten des Metamaterials - in diesem Fall die Ausbreitung von Schallwellen entlang der Kette. „Die Kopplungen - die Glieder der ‚bosonischen Kitaev-Kette‘ - müssen besondere Voraussetzungen mitbringen und können nicht mit üblichen Federn hergestellt werden", sagt Erstautor Jesse Slim. „Wir haben erkannt, dass wir die erforderlichen Verbindungen zwischen nanomechanischen Resonatoren - kleinen vibrierenden Silizium-Saiten auf einem Chip - experimentell herstellen können: wir koppeln sie mit Hilfe von durch Licht ausgeübten Kräften und erzeugen so ‚optische‘ Federn. Durch vorsichtiges Verändern der Laserintensität konnten wir fünf Resonatoren miteinander verbinden und die ‚bosonische Kitaev-Kette‘ erzeugen."
Exponentielle Verstärkung
Das Ergebnis faszinierte die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. „Die optische Kopplung ähnelt mathematisch den supraleitenden Gliedern in der fermionischen Kitaev-Kette“, sagt Verhagen. „Ungeladene Bosonen sind jedoch nicht supraleitend; stattdessen verstärkt die optische Kopplung die nanomechanischen Schwingungen. Infolgedessen werden die Schallwellen, also die mechanischen Schwingungen, die sich durch die Anordnung ausbreiten, von einem Ende zum anderen exponentiell verstärkt. Interessanterweise ist die Übertragung von Schwingungen in die entgegengesetzte Richtung blockiert. Und was noch faszinierender ist: Wird die Welle ein wenig verzögert - um ein Viertel einer Schwingungsperiode - kehrt sich das Verhalten völlig um: Das Signal wird nach hinten verstärkt und nach vorne verhindert. Die ‚bosonische Kitaev-Kette‘ wirkt somit wie ein außergewöhnlicher Richtungsverstärker, der vielversprechende Anwendungen für die Signalmanipulation, insbesondere in der Quantentechnologie, ermöglichen könnte.“
Topologisches Metamaterial
Die besonderen Eigenschaften der Majorana-Nullmoden in der elektronischen Kitaev-Kette hängen mit der Tatsache zusammen, dass das Material topologisch ist. In topologischen Materialien sind bestimmte Phänomene unweigerlich mit der allgemeinen mathematischen Beschreibung des Materials verbunden. Diese Phänomene sind topologisch geschützt, d. h. sie sind auch dann garantiert vorhanden, wenn das Material Mängel und Störungen aufweist. Für das Verständnis topologischer Materialien wurde 2016 der Nobelpreis für Physik vergeben. Allerdings handelte es sich dabei um Materialien, die keine Verstärkung oder Dämpfung aufweisen. Die Beschreibung von topologischen Phasen, die eine Verstärkung beinhalten, ist immer noch Gegenstand intensiver Forschung und Diskussion.
Zusammen mit der Theoretikerin Clara Wanjura (Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts), den Theoretikern Matteo Brunelli (Universität Basel), Javier del Pino (ETH Zürich) und Andreas Nunnenkamp (Universität Wien) zeigten die AMOLF-Forscher, dass die „bosonische Kitaev-Kette“ tatsächlich eine neue topologische Phase der Materie verkörpert. Die beobachtete gerichtete Verstärkung ist ein topologisches Phänomen, das mit dieser Phase der Materie zusammenhängt, wie es die Forscherinnen und Forscher bereits 2020 prognostiziert hatten. „Für uns sind die Experimente, die wir hier berichten, die Bestätigung von Überlegungen der letzten Jahre,” freut sich Andreas Nunnenkamp von der Universität Wien und erläutert weiter: „Wir konnten eine einzigartige Signatur dieser Phase nachweisen: Wenn die Kette, ähnlich einer Halskette, geschlossen wird, zirkulieren die verstärkten Schallwellen im Ring der Resonatoren weiter und erreichen eine sehr hohe Intensität, vergleichbar mit der Erzeugung starker Lichtstrahlen in Lasern.”