Quantenannealer löst komplexes Problem der Materialforschung
Anfang der 1980er Jahre stellte Richard Feynman die Frage, ob es möglich sei, die Natur mit einem klassischen Computer präzise zu modellieren. Seine Antwort lautete: Nein. Die Welt besteht tief im Inneren aus fundamentalen Teilchen, beschrieben durch die Quantenphysik. Das exponentielle Wachstum der Möglichkeiten, die in die Berechnungen einfließen müssen, bringt selbst die leistungsfähigsten Supercomputer an ihre Grenzen. Feynman schlug stattdessen vor, einen Computer zu verwenden, der selbst aus Quantenteilchen besteht.
Vielteilchensysteme in der Quantenphysik
Mit seiner Vision gilt Feynman vielen als Urvater des Quantencomputers. Wissenschaftler:innen des Forschungszentrums Jülich haben nun gemeinsam mit Kollegen aus slowenischen Institutionen gezeigt, dass sie sich tatsächlich praktisch umsetzen lässt. Bei dem von ihnen betrachteten Anwendungsfall handelt es sich um ein sogenanntes Vielteilchensystem. Solche Systeme beschreiben dasVerhalten einer sehr großen Anzahl von Teilchen, die miteinander wechselwirken. In der Quantenphysik helfen sie dabei, Phänomene wie Supraleitung oder Quantenphasenübergänge am absoluten Nullpunkt zu erklären. Statt thermischer Fluktuationen gibt es bei einer Temperatur von 0 Kelvin nur noch Quantenfluktuationen, die auftreten, wenn ein physikalischer Parameter wie das Magnetfeld verändert wird.
„Eine Herausforderung bei der Erforschung von Quantenmaterialien besteht darin, die Phasenübergänge von Vielteilchensystemen quantitativ zu messen und zu modellieren“, erklärt Prof. Dragan Mihailović vom Jožef Stefan Institute in Slowenien. In der vorliegenden Studie untersuchten die Forschenden das Material 1T-TaS2, das von der supraleitenden Elektronik bis hin zu energieeffizienten Speichergeräten Verwendung findet. „Wir haben das System in einen Nichtgleichgewichtszustand versetzt und dann beobachtet, wie sich die Elektronen im Festkörpergitter nach dem Nichtgleichgewichts-Phasenübergang neu anordnen - sowohl experimentell als auch durch Simulationen“, beschreibt Dr. Jaka Vodeb vom Jülich Supercomputing Centre den gewählten Ansatz.
Alle Berechnungen wurden mit dem Quantenannealer der Firma D-Wave durchgeführt, der in die Jülicher Nutzerinfrastruktur für Quantencomputing - JUNIQ - eingebunden ist.
Beitrag zur Energieeffizienz
Die Forschenden konnten den Übergang von der temperaturgesteuerten zur verrauschten, von Quantenfluktuationen dominierten Dynamik, erfolgreich nachbilden. Mit den Qubit-Verbindungen im Quantenannealer ließen sich die mikroskopischen Wechselwirkungen der Elektronen direkt abbilden. Die Ergebnisse stimmen mit theoretischen Vorhersagen und experimentellen Ergebnissen sehr gut überein.
Es gibt aber auch einen praktischen Nutzen. Ein besseres Verständnis von 1T-TaS2-basierten Speichergeräten könnte zu einem praktischen Quantenspeichergerät führen, das direkt auf einer Quantenverarbeitungseinheit (QPU) implementiert wird. Solche Geräte können zur Entwicklung energieeffizienter elektronischer Geräte beitragen und damit den Energieverbrauch von Computersystemen entscheidend senken.
Fazit: Quantenannealer in der Praxis
Die vorliegende Studie zeigt: Es ist möglich, praktische Probleme mit Quantenannealern zu lösen. Sie können in der Kryptographie, den Materialwissenschaften oder bei der Simulation komplexer Systeme eingesetzt werden. Darüber hinaus haben die Erkenntnisse aber auch eine direkte Auswirkung auf die Entwicklung energieeffizienter Quantenspeichergeräte.
Originalveröffentlichung
Jaka Vodeb, Michele Diego, Yevhenii Vaskivskyi, Leonard Logaric, Yaroslav Gerasimenko, Viktor Kabanov, Benjamin Lipovsek, Marko Topic, Dragan Mihailovic; "Non-equilibrium quantum domain reconfiguration dynamics in a two-dimensional electronic crystal and a quantum annealer"; Nature Communications, Volume 15, 2024-6-6