Aktuelle Forschung zeigt bislang verborgene Phänomene in ultrareinen Quantenmaterialien

"Diese Situation war sehr aufregend, aber auch rätselhaft"

27.06.2024

Forscher entdeckten neue Phänomene in einer ultrareinen Probe von SrVO3. Die Studie stellt theoretische Modelle in Frage und bietet neue Einblicke in diese Metalle. Ultrareines SrVO3 zeigt einzigartige elektronische Eigenschaften, was die Bedeutung defektfreier Materialien für die Untersuchung von Elektronenkorrelationseffekten unterstreicht. Der Durchbruch wurde durch eine innovative Dünnschichttechnologie erzielt, die zur Synthese von SrVO3 in bisher unerreichter Reinheit führte und detaillierte Untersuchungen ermöglichte. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die derzeitigen Theorien über Elektronenwechselwirkungen neu bewertet werden müssen.

ORNL

Messungen von ultrareinem SrVO3 (links) im Elektronenmikroskopiebild bieten neue Einblicke in korrelierte Elektronenmaterialien und stehen im Kontrast zu defektreichem SrVO3 (rechts). Diagramm zeigt die Materialqualität anhand der Widerstandsverhältnis.

In einem in Nature Communications veröffentlichten Artikel beschreiben Forscher bisher nicht beobachtete Phänomene in einer ultrareinen Probe des korrelierten Metalls SrVO3. Die Studie zeigt experimentelle Ergebnisse, die nicht leicht mit vorherrschenden theoretischen Modelle dieser ungewöhnlichen Metalle beschrieben werden können. Das internationale Forschungsteam vom Paul Drude Institut für Festkörperelektronik (PDI), Deutschland; Oak Ridge National Laboratory (ORNL); Pennsylvania State University; University of Pittsburgh; Pittsburgh Quantum Institute; und University of Minnesota glaubt, dass ihre Ergebnisse eine Neubewertung der aktuellen Theorien zu Elektronenkorrelationseffekten notwendig macht und Licht auf die Ursprünge wichtiger Phänomene in diesen Systemen wirft, einschließlich magnetischer Eigenschaften, Hochtemperatursupraleitung und der einzigartigen Eigenschaften äußerst ungewöhnlicher transparenter Metalle.

Das Perovskitoxid-Material SrVO3 wird als Fermi-Flüssigkeit klassifiziert – ein Zustand, der ein System von wechselwirkenden Elektronen in einem Metall bei ausreichend niedrigen Temperaturen beschreibt. In konventionellen Metallen bewegen sich Elektronen unabhängig voneinander und werden üblicherweise als Fermi-Gas bezeichnet. Im Gegensatz dazu weisen Fermi-Flüssigkeiten signifikante Wechselwirkungen zwischen den Elektronen auf - die Bewegung eines Elektrons beeinflusst die Bewegung der anderen Elektronen stark. Dieses kollektive Verhalten kann zu einzigartigen elektronischen Eigenschaften mit tiefgreifender technologischer Relevanz führen und Einblick in die Wechselwirkungen zwischen Elektronen in korrelierten Metallen bieten. SrVO3 ist aufgrund seiner einfachen kristallinen Struktur und elektronischen Eigenschaften ein ideales Modellsystem zur Untersuchung solcher Korrelationsphänomene. Diese Einfachheit ist entscheidend, um komplexe Phänomene wie magnetische Ordnung oder Supraleitung zu verstehen, die theoretische und experimentelle Studien erschweren können.

Ein weiterer entscheidender Faktor zum Verständnis experimenteller Ergebnisse, die die Grundlage für theoretische Modelle für Elektronenkorrelationseffekte sind, ist das Vorhandensein oder Fehlen von Defekten im Material selbst. Dr. Roman Engel-Herbert, Studienleiter und Direktor des PDI in Berlin, sagte: „Wenn man eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Festkörperphysik auf den Grund gehen will, muss man es in seiner reinsten Form studieren; in Abwesenheit jeglicher äußerer Störungen. Hochwertige Materialien, die praktisch defektfrei sind, sind entscheidend. Man muss ultrareine Materialien synthetisieren.“

Eine defektfreie Probe von SrVO3 zu erhalten, war bisher eine scheinbar unüberwindbare Herausforderung. Durch die Anwendung einer innovativen Dünnschichtwachstumstechnik, die die Vorteile der Molekularstrahlepitaxie und der chemischen Gasphasenabscheidung kombiniert, erreichte das Team ein beispielloses Maß an Materialreinheit. Dr. Matt Brahlek, Erstautor der heute veröffentlichten Studie, quantifiziert die Verbesserung: „Ein einfaches Maß für die Materialreinheit ist das Verhältnis, wie leicht Elektrizität bei Raumtemperatur im Vergleich zu niedriger Temperatur fließt – das sogenannte Restwiderstandsverhältnis, der RRR-Wert (RRR:residual resistance ratio). Wenn das Metall viele Defekte enthält, sind die RRR-Werte niedrig, typischerweise um 2-5. Wir konnten SrVO3-Filme mit einem RRR-Wert herstellen, der bei 200 liegt, und eröffneten damit die Möglichkeit, die fundamentalen Eigenschaften des korrelierten Metalls SrVO3 zu untersuchen. Die hohe Materialqualität ermöglichte insbesondere zum ersten Mal den Zugang zu einem speziellen Regime bei Magnetfeldern. Dies ist der Bereich, in dem unerwartete Effekte gefunden wurden.“

Das interdisziplinäre Team von Wissenschaftlern war überrascht, eine Reihe eigenartiger Transporteigenschaften zu entdecken, die im starken Kontrast zu den zuvor an defektreichen Proben gemessenen Transporteigenschaften standen. Ihre Ergebnisse stellen den langjährigen wissenschaftlichen Konsens in Frage, dass SrVO3 eine einfache Fermi-Flüssigkeit ist.

Engel-Herbert erklärt: „Diese Situation war sehr aufregend, aber auch rätselhaft. Während wir das zuvor berichtete Transportverhalten von SrVO3 in unseren defektreichen Proben reproduzierten, unterschieden sich identische Messungen an ultrareinen Proben mit hohen RRR-Werten deutlich.“ Ergebnisse von defektreichen Proben ermöglichten eine einfache Interpretation der Ergebnisse, die den theoretischen Erwartungen entsprachen. Diese Ergebnisse wurden als experimentelle Belege dafür verwendet, dass das theoretische Verständnis die Elektronenkorrelationseffekte in SrVO3 korrekt widerspiegelt. Das Team stellte jedoch fest, dass die Messungen an den ultrareinen Proben nicht so leicht erklärt werden können.

Brahlek fügte hinzu: „Eine besondere Beobachtung, ist die Erwartung, dass die Anzahl der Elektronen, die in einem Metall Elektrizität leiten, unabhängig von Temperatur und Magnetfeld ist. Das ist natürlich richtig, aber die Interpretation der gemessenen Größe ist kein direktes Maß für die Ladungsträgerkonzentration. Vielmehr ist diese Größe mit anderen Aspekten der Materialeigenschaften vermischt, wie z.B. dem Einfluss von Defekten und Temperatur auf die Leitfähigkeit. Wir mussten tiefer in die Physik eintauchen, um zu verstehen, was wir sahen. Das macht es so wichtig und aufregend.“

Die Forscher glauben, dass ihre Entdeckung als Grundlage zur Verfeinerung theoretischer Modelle dienen und eine erneute Untersuchung etablierter Ansichten und Interpretationen von Materialien mit beträchtlicher Elektronenkorrelation anregen kann.

Engel-Herbert sagt: „Unsere Aufgabe als experimentelle Physiker ist es, über die Grenzen des aktuellen Verständnisses der Natur hinauszugehen. Hier können Entdeckungen gemacht werden, hier treiben wir die Wissenschaft voran. Als Festkörperphysiker ist es entscheidend, unser Studienobjekt immer weiter zu perfektionieren, indem wir uns herausfordern, die Grenzen der Materialperfektion zu erweitern. Dies kann möglicherweise neue Einblicke in das tatsächliche Verhalten dieser Materialklasse geben und eine umfassende Erklärung der gemessenen und beobachteten Phänomene ermöglichen. Dazu braucht es ein interdisziplinäres Team von Experten. Obwohl die Arbeit noch nicht abgeschlossen ist, bieten unsere Ergebnisse der Gemeinschaft die Möglichkeit, ihre Theorien neu zu kalibrieren; Materialien, von denen wir glaubten, dass sie gut verstanden seien, neu zu untersuchen und ihr Potenzial für Anwendungen neu zu bewerten.“

Zum Forschungsteam gehörten der Studienleiter Roman Engel-Herbert, der das Experiment gemeinsam mit PI Matthew Brahlek (jetzt am Oak Ridge National Laboratory), der das Wachstum, die Magnetotransportmessungen und die Modellierung durchführte, konzipierte und entwarf,; Lei Zhang, Joseph D. Roth und Jason Lapano (Pennsylvania State University) unterstützten beim Wachstum und der Charakterisierung, Turan Birol (University of Minnesota) führte die theoretische Unterstützung durch und Megan Briggeman, Patrick Irvin und Jeremy Levy von der University of Pittsburgh bestätigten und validierten die Magnetotransportmessungen bei hohen Magnetfeldern. Die Studie wurde vom US-Energieministerium und der National Science Foundation unterstützt.

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