Nachhaltige Versorgung mit kritischen Rohstoffen

Welche Ansätze in Forschung & Innovation der EU helfen können: Drei Maßnahmenpakete für mehr Unabhängigkeit

23.07.2024
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Symbolbild

Rohstoffe sind entscheidende Ressourcen für den Wohlstand und die Lebensqualität in der Europäischen Union. Jedoch werden verschiedene Rohstoffe wegen der unsicheren Versorgungslage als kritisch eingestuft. Durch Forschung und Innovation kann die Europäische Union ihre Versorgung mit kritischen Rohstoffen verbessern – aber wie genau? Eine neue Studie unter Leitung des Fraunhofer ISI im Auftrag des STOA-Panels des Europäischen Parlaments (EP) beleuchtet die Rolle von Forschung und Innovation entlang der Wertschöpfungskette, identifiziert Forschungsbedarfe und bewertet konkrete Maßnahmenvorschläge hinsichtlich Kosten, Nutzen und Durchführbarkeit.

Die Europäische Union steht vor der Herausforderung, die Versorgung mit kritischen Rohstoffen wie beispielsweise Phosphor, Helium oder Magnesium nachhaltig zu sichern. Ob ein Rohstoff als kritisch eingestuft wird, hängt von seiner wirtschaftlichen Bedeutung und dem Versorgungsrisiko ab. So weisen Rohstoffe, die nur in wenigen bestimmten Ländern gefördert werden können, ein höheres Versorgungsrisiko auf. Die wirtschaftliche Bedeutung ist beispielsweise dann besonders hoch, wenn es für bestimmte Produkte oder Anwendungen keine alternativ nutzbaren Rohstoffe gibt.

In der EU gelten derzeit 34 Rohstoffe als kritisch (»Critical Raw Materials«, CRM). Darunter sind 17 sogenannte strategische Rohstoffe (»Strategic Raw Materials«, SRM), bei denen perspektivisch eine steigende Nachfrage sowie größere Lieferschwierigkeiten erwartet werden – zum Beispiel Kobalt und Lithium.

Die Europäische Union hat bereits verschiedene Initiativen gestartet, um den Herausforderungen rund um kritische Rohstoffe zu begegnen: So werden Versorgungsrisiken überwacht und mögliche Folgen von Lieferengpässen analysiert, um mit politischen Maßnahmen gegensteuern zu können. Im Mai 2024 trat eine neue Verordnung in Kraft: Der »Critical Raw Materials Act« schreibt unterschiedliche Ziele fest, zum Beispiel soll die EU bis 2030 zehn Prozent ihres Bedarfs an strategischen Rohstoffen selbst gewinnen, 40 Prozent selbst verarbeiten und 25 Prozent recyceln können.

Um diese Ziele zu erreichen, sind zusätzliches Know-how und neue Technologien nötig. Das EP-Panel für die Zukunft von Wissenschaft und Technologie STOA (»Panel for the Future of Science and Technology«) hat daher eine Studie in Auftrag gegeben, um die Rolle von Forschung und Innovation (»Research & Innovation«, R&I) hierbei zu beleuchten. Beteiligt waren Forschende vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI sowie vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, vom Norwegian Institute for Sustainability Research (NORSUS) sowie vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

In der Studie wird deutlich, dass weiterhin große Anstrengungen in Forschung und Innovation nötig sind, um die Position der EU hinsichtlich kritischer Rohstoffe zu verbessern. Forschungsbedarf gibt es in verschiedenen Bereichen entlang der Liefer- und Wertschöpfungsketten: So zum Beispiel bei der Erkundung von Rohstoffvorkommen, der Entwicklung ökologischerer und sicherer Fördermethoden, der Etablierung neuer Methoden in Verarbeitung und Produktion im Hinblick auf Effizienz und Kreislaufwirtschaft oder für ein umfassenderes Recycling von Rohstoffen.

Zwar verfügt die Europäische Union im internationalen Vergleich nur über begrenzte Rohstoffressourcen, jedoch hat sie eine starke Position in Forschung und Innovation inne. Um die wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von Rohstoff-reicheren Ländern zu verringern oder zu vermeiden, muss die EU ihre Technologieführerschaft in diesen Bereichen weiter ausbauen. Dazu muss sie in die Forschung und in die Stärkung von Unternehmen in globalen Wertschöpfungsketten investieren. Ein erster Schritt sollte die Ausweitung von Monitoring- und Analysekapazitäten sein. Die Investitionen in die Rohstoff-Forschung sollten laut Studie denen anderer Schlüsseltechnologien entsprechen.

Ergänzend zu diesen technologischen Fragestellungen müssen die Sozialwissenschaften eine zentrale Rolle in der Rohstoff-Forschung einnehmen: Denn Bergbauprojekte oder neue Produktionsstandorte stoßen wegen ökologischer und sozialer Bedenken oft auf Widerstand. Das betrifft gleichermaßen Aktivitäten innerhalb wie außerhalb der EU. Beteiligungsprozesse und Ansätze zur Konfliktlösung könnten dabei helfen, gesellschaftliche Kontroversen zu begleiten und weltweit Standards für eine sozial gerechtere Rohstoffförderung zu etablieren.

Drei Maßnahmenpakete für mehr Unabhängigkeit auf dem Rohstoff-Markt

Die Forschenden haben für ihre Studie im Auftrag der STOA drei Maßnahmenpakete identifiziert und die einzelnen politischen Handlungsoptionen hinsichtlich verschiedener Faktoren wie etwa Kosten, Nutzen, gesellschaftlicher Akzeptanz und Durchführbarkeit bewertet.

Das erste Paket enthält Maßnahmen zur Stärkung von Forschungs- und Innovations-Kapazitäten innerhalb der EU. Die EU-Institutionen, die mit der Umsetzung des »Critical Raw Material Acts« beauftragt sind, benötigen zusätzliche Ressourcen für die Bewertung kritischer Rohstoffe und die Überwachung von Lieferketten. Darüber hinaus benötigen Unternehmen und Technologieanbieter Unterstützung bei der Entwicklung wettbewerbsfähiger Lösungen für den weltweiten Rohstoffmarkt.

Das zweite Maßnahmenpaket zielt auf internationale Kooperationen. Die Forschenden betonen, dass Europa mit den Besten zusammenarbeiten muss – egal, ob es in einem Bereich bereits führend ist oder aufholen muss. Eine intensivere Zusammenarbeit mit den USA, Japan, aber zunehmend auch mit China, erscheint ratsam; ebenso wie intensivere gemeinsame innereuropäische Anstrengungen.

Das dritte Maßnahmenpaket befasst sich mit der Legitimität von Projekten entlang der Lieferketten. Es bewertet politische Handlungsoptionen, um die Ursachen lokaler Konflikte zu untersuchen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Forschung und Innovation kann dazu beitragen, Wege der sozialverträglichen und nachhaltigen Wertschöpfung zu finden.

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