Nano-Röhrchen als Spinfilter
Die untersuchten Nano-Röhren bestehen aus aufgerolltem Graphen, eine genau eine Atomlage starke Schicht aus Graphit - das ist das gleiche Material, aus dem auch Bleistiftminen gemacht werden. Abhängig davon, wie das Graphen-Blatt zu einem Röhrchen aufgewickelt ist - gerade oder schief -, erhält man einen isolierenden Halbleiter oder ein leitfähiges Metall. Sowohl diese elektrischen als auch die mechanischen Eigenschaften der Röhren lassen sie für neue Technologien wie die Nano-Elektronik als besonders geeignet erscheinen. Bei Festigkeiten, die die von Stahl um ein Vielfaches übertrifft, können die Röhren hohe Ströme transportieren und die dabei entstehende Wärme hervorragend abführen.
Die Regensburger Wissenschaftler stellten verschiedenartige Nano-Röhren mit Durchmessern von rund eineinhalb Nanometern und Längen von einigen 10 Mikrometern her. Die Röhrchen mussten zudem elektrisch kontaktiert werden, um die elektronischen Eigenschaften in hohen Magnetfeldern untersuchen zu können. Die Experimente selbst fanden im Hochfeld-Magnetlabor Dresden des FZD statt und resultierten in verblüffenden Ergebnissen, die in der Fachzeitschrift Physical Review B veröffentlicht wurden.
Bei den winzigen Dimensionen der Nano-Röhren aus Kohlenstoff versagt die klassische Beschreibung und die Elektronen gehorchen quantenmechanischen Gesetzen. Die Elektronen können sich nur in ganz bestimmten Bahnen mit festgelegten Energien in den Röhren bewegen. Das Magnetfeld verschiebt nun die energetische Lage der Bahnen, sodass ein metallisches Nano-Röhrchen zum Isolator wird. Eine besondere Überraschung boten leitfähige, schräg aufgewickelte Nano-Röhrchen, denn dort ist die Bahn der Elektronen gekoppelt mit dem Spin. Das ist eine Art Drehung um die eigene Achse, die ein magnetisches Moment erzeugt. Der Spin der Elektronen kann genau zwei Richtungen bzw. Zustände einnehmen, weist also eine Schalt-Eigenschaft auf, die einen Einsatz für neuartige Speichertechnologien nahelegt. Dies will sich die so genannte Spintronik zunutze machen will, stößt aber auf ein grundlegendes Problem: es fehlt bisher ein Bauelement, mit dem die Elektronenspins beliebig polarisiert werden können, mit dem also die Richtung der Spins nach Wunsch eingestellt werden kann.
Den Wissenschaftlern aus Dresden, Regensburg und Delft gelang es nun, abhängig vom Magnetfeld alle Spins erst in die eine, dann in die andere Richtung zu schalten. Damit existiert erstmals eine verlässliche Methode, um in einem für die Nano-Elektronik geeigneten Material den Spin wunschgemäß einzustellen. Das schräg aufgerollte Nano-Röhrchen aus Kohlenstoff jedenfalls war bei drei und elf Tesla (Tesla ist ein Maß für die Magnetfeld-Stärke) jeweils anders spinpolarisiert, d. h. bei drei Tesla zeigten alle Spins in die eine, bei elf in die andere Richtung. Allerdings funktioniert der neue Spinfilter derzeit nur bei tiefen Temperaturen von wenigen Grad über dem absoluten Temperatur-Nullpunkt. Dieses Ergebnis ist umso erstaunlicher, als bisher davon ausgegangen wurde, dass die Kopplung der Elektronenspins an die Bahnbewegung bei Kohlenstoff-Nanoröhren kaum eine Bedeutung habe.
Kohlenstoff-Nanoröhren jedenfalls, so scheint es, steht eine bedeutende Zukunft bevor, was den Einsatz in unterschiedlichen technologischen Feldern anbelangt. Ein Feld, so legen die aktuellen Ergebnisse der Experimente im Hochfeld-Magnetlabor Dresden des FZD nahe, könnte die Spintronik sein, und zwar wenn es gelänge, Nano-Bauteile oder -Transistoren aus Kohlenstoff-Röhrchen herzustellen, die in Schaltkreisen zuverlässig funktionierten.
Originalveröffentlichung: S.H. Jhang, M. Marganska et al.; "Spin-orbit interaction in chiral carbon nanotubes probed in pulsed magnetic fields"; Physical Review B 82, 041404(R) (2010)
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