Chemie spielt überall eine Rolle

15.06.2011 - Deutschland

Im Mai trafen sich in Köln zahlreiche Vertreter der Chemie-Branche, aber auch aus Politik und Wissenschaft, um neben Rahmenbedingungen der Wirtschaft über Themen wie Innovationen, Nachhaltigkeit, ökologische Produkte und Ressourcenverknappung zu sprechen.

Vor rund 100 Teilnehmern sprach VCI-Präsident Dr. Klaus Engel über die Rolle der chemischen Industrie für die künftige Wertschöpfung in Deutschland. Engel betonte in diesem Zusammenhang die besondere Bedeutung der Energiepolitik für die chemische Industrie, denn die Chemiebranche nutze derzeit acht Prozent des gesamten Strombedarfs in Deutschland. Der Energieverbauch sei aber zurückgegangen und Produktion und Energieverbrauch entkoppelt worden.  Heute werde nur noch halb so viel Energie für das gleiche Produkt benötigt wie 1990. Wichtig sei eine stabile Stromversorgung, vor allem bei Produktionsanlagen, die ohne Unterbrechung laufen. Hohe Strompreise belasteten zunehmend die Wettbewerbsfähigkeit. Dabei, so Engel, können Chemieprodukte an vielen Stellen helfen, Energie einzusparen.

„Chemie ist die Industrie der Industrie“

Weiter wertete Engel Deutschland als einen guten Standort für die Industrie und hob als besondere Stärke den Verbund aus großen und erfolgreichen Industriebranchen hervor. Er sehe die Chemie als wichtigen Impulsgeber für neue Produkte und Verfahren: „Wir sind eine der innovativsten Branchen in Deutschland.“ Und weiter: „Chemie ist die Industrie der Industrie.“  Als Herausforderung sieht Engel vor allem knappe Ressourcen, Fachkräftemangel, demografischen Wandel und Bevölkerungswachstum. Von den geschätzten neun Milliarden Menschen im Jahr 2050 werden zwei Drittel in Megacities leben, zwei Milliarden Menschen werden über 60 Jahre sein. Und je reicher ein Land sei, umso mehr würden chemische Produkte, Lebensmittel und Wasser benötigt. So steige bereits heute die Nachfrage nach Aminosäuren rasant an.

Chemieindustrie als Impulsgeber

Als Beispiel für wichtige Innovationen nannte er die Elektromobilität,  neue Energiequellen und Energiesparen. Die Rolle der Chemie sei bei den genannten Megatrends vielfältig. Bei den Lithium-Ionen-Batterien für die Elektroautos könne die Chemie wichtige Impulse geben, aber auch beim Materialeinsatz zum Beispiel durch Leichtbauwerkstoffe und Reifen aus synthetischem Kautschuk. Bei der Nutzung alternativer Energiequellen werden immer größere Windkraftanlagen gebaut. Die Chemie liefere hier Fasern aus Glas und Kohlenstoff. Als großes Abenteuer habe die Bundeskanzlerin die Suche nach Energiespeicherung genannt, hier arbeite man an stationären Großbatterien mit Lithiumzellen. Als wenig hilfreich stufte Engel die Unterscheidung in grüne und nicht-grüne Produkte oder Industrien und fragte: „Sind Windkraftanlagen grün? Engel betonte die Innovationskraft der chemischen Industrie, sieht aber auch noch Verbesserungspotenzial für den Standort Deutschland.

Asiatische Unternehmen sehr erfolgreich

Auch Dr. Udo Jung, Senior Partner der Boston Consulting Group, wies darauf hin,  dass viele Innovationen durch Megatrends getriggert werden. Jung stellte Ergebnisse einer Betrachtung von 130 Chemie-Unternehmen in den letzen fünf Jahren – 2006 bis 2010 – vor.  Besonders erfolgreich waren asiatische Unternehmen, zum Beispiel das koreanische Unternehmen Honam Petrochemicals. Das Unternehmen verzeichnete in den letzten fünf Jahren eine jährliche Wertsteigerung von 41 Prozent bei gleichzeitig ganz erheblichem Wachstum. Die sogenannten Megatrends führen zu Nachfragewachstum in vielen einzelnen Segmenten der chemischen Industrie – namentlich in den Bereichen Düngemittel, Agrochemie und Produkten, die im weitesten Sinne Nahrungsmittel betreffen. Gleiches gilt für Chemieprodukte, die die Ressourceneffizienz der Kunden der Chemischen Industrie verbessern (z.B. Gewichtsersparnis).

Standortvorteil Europa: Komplexe Anforderungen managen

Ein Erfolgsfaktor europäischer Unternehmen sei die Fähigkeit, auch komplexen Anforderungen zu begegnen, betonte Jung und sagte: „Die Fähigkeit des Managens von Komplexität sei ein wichtiger Wettbewerbsvorteil.“ In Europa sei das gesamte Thema Gesundheit und Healthcare ein großes Wachstumssegment, auch bedingt durch den demografischen Wandel. In Asien sei das Wachstum oft getrieben durch den Auf- und Ausbau der Infrastruktur und den Bedarf an Basischemie, so der Experte.  Bis 2020 werden zwei Drittel des globalen Wachstums und der Innovationen aus dem Asien-Pazifik-Raum kommen.  Den Teilnehmern gab der Unternehmensberater mit auf den Weg: „Bereit sein für die Renaissance echter Innovationen.“

Gemeinsam innovativ sein

Thierry Vanlancker, DuPont Performance Coatings, bestätigte die Bedeutung der Agrochemikalien als einen der großen Trends. Wichtig sei auch die Forschung im Bereich Nahrungsmittel, um Produkte zum  Beispiel durch Beigabe von Fettstoffen  haltbarer zu machen. Neben der Nahrungsmittel-Produktion stünden bei DuPont neue Energieformen, die  Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen, Schutz des Lebens und Umwelt sowie Wachstum in Emerging Markets im Fokus, erläutert Vanlancker und führte aus: „Wichtig ist für uns die Zusammenarbeit mit Partnern. Wir überlegen, was wir gut können und was andere möglicherweise besser machen.“ So komme man oft schneller und kostengünstiger zum Ziel.

Ansätze der Bundesregierung

Über die Ansätze zur Förderung der Ressourceneffizienz sprach Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Drei Aspekte, die eine besondere Rolle spielten, seien Energie, Ökoeffizienz und die Minimierung der außenwirtschaftlichen Abhängigkeit, zum Beispiel von politisch instabilen Ländern. Man wolle in Forschung investieren, um langfristig tragfähige Lösungen zu finden, so Lukas. Die Ansätze der Bundesregierung seien Kompetenzen zu bündeln und Ergebnisse öffentlich zu machen. So habe man beispielsweise im letzten Jahr die Deutsche Rohstoffagentur gegründet (http://www.deutsche-rohstoffagentur.de ) mit dem Ziel, auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und aktueller Marktanalysen neue rohstoffwirtschaftliche Ansätze zu entwickeln und die Versorgung der Industrie mit Rohstoffen zu unterstützen. Da vor allem China dabei sei, bestimmte Regionen zu beherrschen, um sich Rohstoffe zu sichern, sei dieser Ansatz besonders wichtig, betonte Ministerialdirektor Lukas.

Effiziente Materialien

Weiterhin sei die Deutsche Materialeffizienzagentur „demea“ auf Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie entstanden. Sie soll das öffentliche Bewusstsein über die Bedeutung der Materialeffizienz schärfen, Unternehmen motivieren, Materialeffizienzpotenziale zu erschließen und sie dabei unterstützen. Lukas macht deutlich: „Wir müssen reagieren.“ So investiere man zum Beispiel in Substitutionsforschung, neue Recycling-Technologien sowie Nanotechnologie. Um die Entwicklung von Carbon Nanotubes (CNT) voranzutreiben, beteilige sich das BMBF bei der Innovationsallianz CNT mit circa 45 Millionen Euro, die Gesamtkosten betragen 90 Millionen Euro im Bereich der Ressourceneffizienz. CNT haben das Potenzial, der Werkstofftechnologie völlig neue Dimensionen zu eröffnen, und bringen eine einzigartige Qualität in zahlreiche Produkte und Anwendungen, erläuterte der promovierte Physiker.

Die Forschungsbemühungen der Regierung seien auf drei Punkte ausgerichtet: Was findet die Forschung interessant, was ist für die Wirtschaft wichtig und was fordert die Gesellschaft. Man müsse sich aber auch darüber im Klaren sein, dass es keine Technologie für die Ewigkeit gibt: „Jede Technologie ist immer eine Brückentechnologie“, betont Lukas und wünscht sich: „Gemeinsam an Effizienz arbeiten, öffentlich sein und mit der Chemie-Industrie strategische Eckpunkte für Deutschland entwickeln.“

Rohstoffe: ersetzen oder schonen

Prof. Dr. Michael Röper vom derzeit weltweit größten Chemiekonzern BASF, betonte ebenfalls, wie wichtig es sei, angesichts der Konkurrenz um Rohstoffe, lohnende Forschungsgebiete zur Sicherung der Rohstoffbasis zu identifizieren.  Röper nannte hier fossile und regenerative Rohstoffe, Wasserstoff aus CO2-freier Erzeugung sowie anorganische Rohstoffe (Edelmetalle, Indium, Lithium-Salze, Düngemittel).

Der wichtigste Rohstoff für die chemische Industrie sei Erdöl, dieser werde aber fast ausschließlich in der Energiewirtschaft verwendet. „Das Ziel muss sein: Mehr stofflich nutzen als verbrennen“, sagte Röper. Das erreiche man, indem man den energetischen Verbrauch senke – durch Elektromobilität, bessere Wärmedämmung und Leichtbau – regenerative Quellen nutze und Reserven durch verbesserte Gewinnungsverfahren steigere.  Um die Rohstoffbasis zu verbreitern, sei es notwendig, andere Herstellungswege für Basis-Chemikalien unter Beibehaltung der bestehenden Wertschöpfungsketten zu finden, Beispiele seien Ethylen und Propylen, erklärte der promovierte Chemiker. Aber auch der Aufbau neuer Wertschöpfungsketten auf Basis gut verfügbarer kostengünstiger Plattformchemikalien aus der stofflichen Nutzung von Biomasse sei ein Weg.

Um verstärkt heimische Pflanzen einsetzen zu können, müssten deren Inhaltsstoffe durch moderne Züchtungsverfahren optimiert werden. In Deutschland nutze man bereits über zwei Millionen Tonnen von nachwachsenden Rohstoffen. Eine weitere Steigerung könnte durch eine kombinierte energetische und stoffliche Nutzung von Biomasse wie zum Beispiel Lignocellulose in Bioraffinerien erzielt werden.

Mangel an Edelmetallen hat erhebliche Folgen für Industrie

Zur Sicherstellung der Rohstoffbasis bei anorganischen Rohstoffen seien Aktivitäten dort notwendig, wo aufgrund der strategischen Bedeutung eine bedrohliche Situation für die verarbeitenden Industrien entstehen könne. Dies sei der Fall bei Edelmetallen für Katalysatoren, Lithium für Batterien und bei Elektronikmaterialien, sagte Röper.  Folgende Forschungsanstrengungen seien daher notwendig:  effizientere Verfahren zur Ausbeutung von Lagerstätten,  effizientere Verfahren zur Aufarbeitung inklusive Koppel‐/Nebenprodukten,  Suche nach alternativen Materialien, beispielsweise für Katalysatoren sowie  effizientere Verfahren zum Recycling komplexer Produkte  und „neuer“ anorganischer Rohstoffe wie beispielsweise Elektronikschrott."

Wenn die Schlacke knapp wird

Knappe Ressourcen werden das Verhalten der Unternehmen verändern, ist Dr. Andreas Grünewald, Geschäftsführer und CFO der Sachtleben GmbH, überzeugt. Am Beispiel der Verknappung von Schlacke und Ilmenit, den wichtigsten Rohstoffen zur Gewinnung von Titandioxid, zeigte er, wie wichtig nachhaltiges und vorausschauendes Handeln sei, denn: „Wir sind selbst verantwortlich für unsere Situation”, gab der Geschäftsführer zu. Sachtleben stellt Partikel auf der chemischen Basis von Titandioxid, Zinksulfid sowie Bariumsulfat her. Hauptanwendungsgebiete der Sachtleben-Produkte sind Synthesefasern, Lacke und Farben, Kunststoffe sowie Papier, aber auch spezielle Partikel für die Lebensmittel-, Pharma- und Kosmetikindustrie. Sachtlebens Anteil an der globalen TiO2-Produktion liegt bei vier Prozent, DuPont ist mit 21 Prozent insgesamt der größte Produzent am Markt.

„Nicht Profite nur kurzfristig maximieren, sondern langfristig optimieren“

Die Preise für Schlacke und Ilmenit stiegen seit 2010 deutlich an, dass liege an der Verfügbarkeit des Rohstoffs, die Qualität sei gleich geblieben, erläuterte Grünewald. Und bis 2015 werde sich die Knappheit bei steigender Nachfrage verstärken: „Es ist eine bedrohliche Entwicklung und der Zugang zu den limitierten Rohstoffen wird über Erfolg und Misserfolg entscheiden.“ Die Gründe liegen Grünewald zufolge vordergründig in der Krise: Vorräte und Bestände wurden heruntergefahren, Produktionsstätten geschlossen und Instandhaltungen und Investitionen minimiert. Das grundsätzliche Problem liegt aber im Preisniveau, das keine wirtschaftlichen Investitionen zuließ. Mögliche Wege zur Überwindung der Knappheit in der Zukunft seien, die Beziehung zu den Lieferanten zu stärken, neue Quellen zu erschließen, andere Qualitäten oder Ersatzstoffe einzusetzen. Weiterhin könne der Verbrauch reduziert werden, was aber in diesem Fall schwierig sei. Den Teilnehmern riet er abschließend: „Vernünftige Preise können die Zukunft absichern. Wenn die Preise sich erholt haben, dann nicht wieder kurzfristig Profite maximieren, sondern langfristig optimieren.“

Die Märkte der Kunden kennen

Zum Thema „Geschäftsmodelle im Umbruch“ sprach Ralf Brinkmann über die Dow-Transformationsstrategie und die aktuellen Herausforderungen in der Branche.  „Der Erfolg im Chemiegeschäft der Zukunft wird davon abhängen, wie gut es den Unternehmen gelingt, sich im wachsenden und konjunkturrobusten Spezialchemiemarkt mit dem passenden Portfolio aufzustellen“, so der Präsident von Dow in Deutschland. „Dieser Markt stellt enorme Anforderungen an die Innovationskraft unserer Unternehmen. Dabei geht es nicht nur um Forschungsbudgets, sondern auch darum, dass wir die Spielregeln und Entwicklungen in den Märkten unserer Kunden wirklich verstehen lernen“, betonte Brinkmann.

Verleihung des Handelsblatt Stratley Award

Zum Abschluss der Tagung wurde erstmals der Handelsblatt Stratley Award verliehen. Am 20. Mai erhielt Michael Schäfer (36), Vice President Business Line Biocides bei der Lanxess AG, den Award als „Beste Nachwuchsführungskraft in der Chemischen Industrie 2011“. Schäfer war bei Lanxess als Vice President Strategie im Segment Performance Chemicals tätig und verantwortete dort diverse Wachstumsinitiativen. Seit 2009 leitet er die Business Line Biocides und hat seitdem das Geschäft unter anderem durch eine Neuausrichtung und durch eine erfolgreiche Akquisition vorangebracht. Sein Mentor, Dr. Torsten Derr, Senior Vice President bei Lanxess, hob besonders seine Fähigkeit hervor, Projektteams souverän zu steuern, Wertehebel zu identifizieren und komplexe Sachverhalte verständlich zu kommunizieren.

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