Pestizide belasten Gewässer stärker als gedacht
André Künzelmann/UFZ
Die meisten der Substanzen, die in der in der Studie als Risiko für die Umwelt eingestuft wurden, waren Pestizide, deren Mehrzahl sich nicht auf der europäischen Liste prioritärer Stoffe findet, welche regelmäßig überwacht werden müssen. Deshalb sei eine Überarbeitung der Chemikalienliste, die die EU-Wasserrahmenrichtlinie den nationalen Behörden zur Beobachtung vorschreibt, dringend notwendig.
Ziel der EU-Wasserrahmenrichtlinie ist es, dass Oberflächengewässer und Grundwasserkörper bis 2015 einen guten ökologischen und chemischen Zustand erreichen sollen. Der chemische Zustand wird anhand einer Liste bewertet, auf der 33 sogenannte prioritäre Schadstoffe aufgeführt sind. Da insgesamt über 14 Millionen Chemikalien auf dem Markt sind und davon über 100 000 im industriellen Maßstab produziert werden, müssen sich die Behörden bei ihren Kontrollen auf eine überschaubare Anzahl an Schadstoffe beschränken. Europaweit arbeiten Wissenschaftler daher an Methoden, um herauszufinden, welche Stoffe das sein sollten.
Einen wichtigen Beitrag dazu leistet jetzt eine Studie, die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) zusammen mit Kollegen in Frankreich, der Slowakei, Belgien und Spanien erstellt haben. Dazu werteten sie eine Datenbank aus, die im Rahmen des EU-Forschungsprojektes MODELKEY entstanden ist und die fünf Millionen Einträge zu physiko-chemischen Daten enthält. Der Schwerpunkt der Arbeit lag dabei auf den organischen Schadstoffen, die bei über 750.000 Wasseranalysen in den Einzugsgebieten der Flüsse Elbe (Tschechien/Deutschland), Donau (10 Europäische Anrainerstaaten), Schelde (Belgien), und des Llobregat (Spanien) registriert wurden. Der Europäischen Kommission zufolge handelt es sich dabei um die erste Studie, die ein System entwickelt hat, das organische Schadstoffe nach Bewertungskriterien und Handlungsbedarf klassifiziert.
Eine der am häufigsten registrierten Verbindungen war Diethylhexylphthalat (DEHP), ein Weichmacher aus der Chemieproduktion, der die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen kann und daher ab 2015 in der EU verboten ist. Daneben folgen mit Bisphenol A (BPA) ein weiterer Weichmacher, der ebenfalls als fortpflanzungsschädigend gilt, sowie mit Diclofenac und Ibuprofen zwei Arzneistoffe, die häufig in Schmerzmitteln eingesetzt werden.
Insgesamt stuften die Wissenschaftler 73 Verbindungen als potenzielle prioritäre Schadstoffe ein. Rund zwei Drittel davon sind Pestizide, also so genannte Pflanzenschutzmittel, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, um die Kulturen vor Krankheiten, Schädlingen oder Unkräutern zu schützen. Die problematischsten Pestizide waren dabei Diazinon, das in Deutschland und Österreich bereits nicht mehr zugelassen ist, und die in Mitteleuropa erlaubten Stoffe Azoxystrobin und Terbuthylazin. „Beide Pestizide stehen nicht auf der Liste der 33 prioritären Schadstoffe, die die Behörden EU-weit kontrollieren müssen“, erklärt der UFZ-Forscher Dr. C. Peter von der Ohe. „Terbuthylazin ist strukturell sehr ähnlich den beiden prioritären Stoffen Simazin und Atrazin, die längst nicht mehr zugelassen sind. Dies ist ein Beispiel wie kleine Änderungen der chemischen Struktur zu einer scheinbaren Verbesserung des chemischen Zustands führen, ohne dass die Gefährdung für aquatische Ökosysteme tatsächlich abnimmt.“ Die Wissenschaftler halten daher die regelmäßige Überarbeitung der Liste prioritärer Stoffe für sehr wichtig. Die Mehrzahl der aktuell problematischen Stoffe ist nicht gelistet, während eine ganze Reihe der überwachten Chemikalien längst verboten und nicht mehr im Gebrauch ist. „Überrascht waren wir auch, dass Substanzen, die bisher als harmlos eingestuft wurden wie HHCB, das als synthetischer Moschus-Duftstoff in Körperpflegemitteln eingesetzt wird, in der Umwelt in bedenklichen Konzentrationen vorkommen“, ergänzt Dr. Werner Brack vom UFZ, der die Europäische Kommission in verschiedenen Gremien und Projekten bei der Überarbeitung der Schadstoffliste berät. „Aus unserer Sicht sollte bei der Weiterentwicklung der Wasserrahmenrichtlinie darauf geachtet werden, dass in Zukunft nicht nur das Vorkommen von chemischen Stoffen beobachtet wird, sondern auch deren Wirkungen registriert werden“, schlägt Brack vor.
Bei aller Kritik, dass die Wasserbehörden in Europa zurzeit den Pestiziden zu wenig Aufmerksamkeit widmen und die prioritäre Schadstoffliste überarbeitet werden sollte, zeigt die Studie nach Meinung der Wissenschaftler auch erste Erfolge der Wasserrahmenrichtlinie. Ein Drittel der von der EU vor einigen Jahren als prioritär eingestuften Schadstoffe stellen inzwischen keine Gefahr mehr für die untersuchten Flüsse dar.