Schweizer Forscher stellen erstmals zweidimensionale Polymere her
Schlüter Research Group / ETH Zurich
Der ETH-Chemiker Hermann Staudinger postulierte schon 1920 die Existenz von Makromolekülen aus identischen Bausteinen, die kettenförmig aneinandergereiht sind. Er erntete dafür in Fachkreisen zunächst nur Hohn und Unverständnis. Doch Staudinger sollte Recht (und 1953 gar den Chemienobelpreis) bekommen: Bereits 1950 wurde weltweit pro Kopf ein Kilogramm Polymere – besser bekannt als Kunststoffe – produziert; heute sind es jährlich etwa 150 Millionen Tonnen. Eine gigantische Industrie, deren Produkte aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Einer Forschungsgruppe unter Leitung der ETH-Forscher A. Dieter Schlüter und Junji Sakamoto gelang nun ein entscheidender Durchbruch: Sie erzeugten erstmals zweidimensionale, also flächige Polymere.
Polymere entstehen, indem sich kleine Moleküle, so genannte Monomere, durch chemische Reaktionen kettenförmig zu hochmolekularen Stoffen verbinden. Die Frage war nun, ob Polymere ausschließlich linear polymerisieren können. Zwar gilt Graphen – zweidimensionale Kohlenstoffschichten mit einem wabenförmigen Muster – als natürlicher Vertreter eines flächigen Polymers, es kann allerdings nicht kontrolliert hergestellt werden. Um eine Synthese-Chemie für zweidimensionale Polymere zu entwickeln, mussten die ETH-Chemiker zunächst oligofunktionale Monomere – Polymerbausteine mit mehreren «reaktiven» Stellen im Molekül – synthetisieren, die sich nicht linear oder gar räumlich (dreidimensional), sondern lediglich rein flächig miteinander verbinden. Derartige Polymere müssen drei oder mehr kovalente Bindungen zwischen den sich regelmässig wiederholenden Einheiten aufweisen. Die Wissenschaftler mussten daher zunächst herausfinden, welche Verbindungschemie und Umgebung sich für die Herstellung eines solchen «molekularen Teppichs» am besten eignen.
Mit Licht und speziellen Bausteinen zum «molekularen Teppich»
Sie entschieden sich für die Synthese in einem Einkristall, ein Kristall mit homogenem Schichtgitter. Dem Doktoranden Patrick Kissel gelang es schließlich, speziell hergestellte Monomere in geschichtete hexagonale Einkristalle kristallisieren zu lassen. Dabei handelte es sich um photochemisch empfindliche Moleküle, für die eine solche Anordnung energetisch optimal ist. Bestrahlt mit Licht mit einer Wellenlänge von 470 Nanometer, polymerisierten die Monomere in sämtlichen Schichten – und nur in diesen. Um die einzelnen Schichten voneinander zu trennen, kochten die Forscher den Kristall in einem geeigneten Lösungsmittel. Ergebnis: Jede Schicht ergab ein zweidimensionales Polymer.
Dass es dem Team tatsächlich gelungen war, flächige Polymere mit regelmäßiger Struktur herzustellen, zeigten letztlich die Untersuchungen am Transmissionselektronenmikroskop (TEM) von Empa-Forscher Rolf Erni und ETH-Forscherin Marta Rossell, die inzwischen ebenfalls am Elektronenmikroskopiezentrum der Empa arbeitet. «Die Herausforderung lag darin, dass diese zweidimensionalen Polymere extrem strahlungsempfindlich sind und es deshalb schwierig ist, die Struktur dieser Materialien während der Messung im TEM nicht zu zerstören», erklärt Erni. Mit Diffraktionsexperimenten bei minus 196 Grad Celsius, das heisst bei der Temperatur, bei der Stickstoff kondensiert, und hoch auflösenden Aufnahmen bei niedriger Elektronendosis gelang den Empa-Forschenden schließlich der Nachweis, dass die vernetzten Moleküle in der Tat eine geordnete zweidimensionale Struktur aufweisen.
Mögliche Anwendung: ein molekulares Sieb
Das entwickelte Polymerisationsverfahren ist so schonend, dass alle funktionellen Gruppen des Monomers auch im Polymer an definierten Stellen erhalten bleiben. «Unsere synthetisch hergestellten Polymere sind zwar nicht leitfähig wie Graphen, dafür könnten wir sie aber beispielsweise zum Filtern kleinster Moleküle nutzen», sagt Sakamoto. In den regelmäßig angeordneten Polymeren befinden sich nämlich kleine definierte Löcher mit einem Durchmesser im Subnanometerbereich. Winzige Hexagone in den Polymeren, gebildet durch Benzolringe mit drei Ester-Gruppen, können zudem durch ein einfaches hydrolytisches Verfahren entfernt werden. Dadurch würde ein «Sieb» mit geordneter Struktur entstehen, das sich zum selektiven Filtrieren bestimmter Moleküle eignet.
Bevor sich die Forschenden jedoch über konkrete Anwendungen Gedanken machen können, gilt es nun, die Materialeigenschaften der zweidimensionalen Polymere zu charakterisieren. Sie müssen zunächst einmal einen Weg finden, größere Mengen an größeren Flächen herzustellen. Die Kristalle haben derzeit nämlich eine Größe von lediglich 50 Mikrometer. «Das sind auf molekularer Ebene jedoch bereits enorme Polymerisationsgrade», betont Sakamoto.
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