Europäische Chemieindustrie: Umsatzsteigerung von 25 Milliarden Euro durch verbesserte Zusammenarbeit entlang der Lieferkette

13.06.2012 - Deutschland

Die Nachfrage nach Chemieprodukten ist in den vergangenen zwölf Monaten um bis zu 10 Prozent gestiegen und wird sich weiter moderat positiv entwickeln. Die Rohstoffpreise werden dieser Entwicklung folgen. Auch hier ist ein Preisanstieg von bis zu zehn Prozent zu erwarten. Trotzdem wird ein erhöhtes Maß an Volatilität den Markt prägen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung der Unternehmensberatung A.T. Kearney, CHEManager Europe und der Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Sie wurde in den Monaten März und April unter über 150 Führungskräften aus Chemie- und Kundenindustrien aus 15 europäischen Ländern, den USA und China durchgeführt. Zur Verbesserung der Wettbewerbsposition empfiehlt sich eine intensivere Kooperation entlang der gesamten Lieferkette. Die Hälfte der Chemieunternehmen (48 Prozent) und etwas mehr als die Hälfte der Kunden (57 Prozent) verspricht sich davon ein Umsatzplus von 2 bis 4 Prozent. Umgerechnet auf den Umsatz von 600 Milliarden Euro, den die europäische Chemieindustrie jährlich erzielt, bedeutet dies mittel- bis langfristig ein zusätzliches Umsatzpotenzial von 12 bis 25 Milliarden Euro. Als wesentlichen Treiber nennen die Chemieunternehmen ihre Kunden, das stärkste Hemmnis besteht im nicht verfügbaren oder nicht entsprechend qualifizierten Personal.

Die Mehrheit der Studienteilnehmer vermeldete für die letzten zwölf Monate eine steigende Nachfrage nach ihren Produkten, allerdings sei das Wachstum geringer ausgefallen als im Vorjahreszeitraum. Etwa jeder zweite Befragte verzeichnete einen Nachfrageanstieg von bis zu zehn Prozent. Dieser Trend wird sich fortschreiben: Mehr als zwei Drittel der Befragten erwarten für die nächsten 12 Monate moderates Wachstum in der gleichen Größenordnung.

Eine ähnliche Entwicklung wird für die Rohstoffpreise prognostiziert. Mehr als die Hälfte der befragten Chemieunternehmen rechnet in den nächsten 12 Monaten mit einem Preisanstieg bei Rohstoffen von maximal 10 Prozent. Damit hat sich die Lage gegenüber dem Vorjahr etwas entspannt.

Dr. Tobias Lewe, Partner in der Chemie und Öl Practice von A.T. Kearney, erläutert: „Trotz der aktuell vergleichsweise positiven konjunkturellen Lage besteht kein Zweifel daran, dass die Märkte für Chemieprodukte in Zukunft einer erhöhten Volatilität unterliegen werden.“ Während die Chemieunternehmen Chancen und Risiken einer erhöhten Volatilität allerdings für ausgewogen erachten, stehen für mehr als die Hälfte der Kunden (55 Prozent) die Risiken im Vordergrund.

Zusätzliche Milliardenumsätze durch verbesserte Kooperation

„Um erfolgreich im Markt zu bestehen und auch bei steigender Volatilität und zunehmender Unsicherheit weiter nachhaltig wachsen zu können, kommt es für Unternehmen jetzt darauf an, Geschäftsmodell und Wertschöpfungskette genau auf den Prüfstand zu stellen und intensiv über eine verstärkte Zusammenarbeit entlang der Lieferkette nachzudenken“, so Lewe weiter.

Das Potenzial ist enorm. So ergab die Befragung, dass sich die Hälfte der Chemieunternehmen (48 Prozent) und etwas mehr als die Hälfte der Kunden (57 Prozent) von einer verstärkten Zusammenarbeit entlang der Lieferkette ein Umsatzplus von 2 bis 4 Prozent versprechen. „Umgerechnet auf den Umsatz von 600 Milliarden Euro, den die europäische Chemieindustrie jährlich erzielt, bedeutet dies mittel- bis langfristig ein zusätzliches Umsatzpotenzial von 12 bis 25 Milliarden Euro“, erklärt Lewe.

Darüber hinaus erwartet nahezu die Hälfte der Chemieunternehmen (47 Prozent) sowie knapp zwei Drittel der Kunden (64 Prozent), dass eine verstärkte Zusammenarbeit zu Kostenvorteilen von 2 bis 4 Prozent führen kann.

Darin, dass das Thema Kooperation von zunehmender Bedeutung ist, sind sich die Studienteilnehmer einig. 90 Prozent der Chemieunternehmen gehen davon aus, dass die Zusammenarbeit mit ihren Kunden in fünf Jahren „hoch“ oder „sehr hoch“ sein wird (heute: 74 Prozent). Die befragten Kunden bestätigen dies: Die Zusammenarbeit mit ihren Lieferanten werde in fünf Jahren „hoch“ oder „sehr hoch“ sein, sagen 82 Prozent von ihnen (heute: 55 Prozent).

Größter Treiber für mehr Kooperation: die Kunden

Befragt nach den Treibern für eine verstärkte Zusammenarbeit, gab jedes zweite Chemieunternehmen seine Kunden als wesentlichen Faktor an. Rund jedes vierte Chemieunternehmen (28 Prozent) nannte die Notwendigkeit, sich mit Partnern zusammenzuschließen, um den langfristigen Veränderungen des Ökosystems besser begegnen zu können. Dazu zählt etwa die Entwicklung von neuen Energieeffizienz- oder Energiespeicherlösungen. An dritter Stelle (26 Prozent) folgen schließlich interne Optimierungspotenziale, die nicht allein erschlossen werden können.

Größtes Hindernis: die Mitarbeiter

Das größte Hindernis für eine engere Zusammenarbeit liegt im Bereich der Mitarbeiter – entweder weil nicht genügend Fachkräfte vorhanden sind oder aber diese nicht die erforderliche Qualifikation haben. „Angesichts des heute schon vielfach zu beobachtenden Fachkräftemangels wird es zunehmend schwierig werden, die vorhandene Managementkompetenz mengenmäßig auszubauen oder um die neu erforderlichen Qualifikationen zu erweitern“, sagt Robert Renard, Senior Consultant in der Chemie und Öl Practice von A.T. Kearney. Um dem entgegenzuwirken und zügig von den Potenzialen einer verstärkten Zusammenarbeit zu profitieren, so Renard weiter, sei es sinnvoll, sich auf einige wenige strategische Top-Partnerschaften zu konzentrieren, statt gefangen zu sein in einem komplexen und langsamen Transformationsprozess, an dem mannigfaltige Partner beteiligt sind.

Laut der befragten Studienteilnehmer stellt mangelndes Vertrauen in externe Parteien das zweitwichtigste Hemmnis für mehr Kooperation dar (32 Prozent). Erschwert wird sie außerdem durch eine ineffiziente Steuerung, so ein Viertel der Teilnehmer.

Verbesserungsbedarf an der Kundenschnittstelle

Danach befragt, was sie heute schon tun, um ihre Kundenbeziehungen zu stärken, gaben 73 Prozent der Chemieunternehmen an, an ihrem Preis-Leistungs-Verhältnis zu arbeiten. Dieser Aspekt hat auch für Kunden eine große Bedeutung und rangiert unter den Top-Drei ihrer Prioritätenliste. Darüber hinaus allerdings engagieren sich Chemieunternehmen stark in Bereichen, die für ihre Kunden nur eine untergeordnete Rolle spielen, wie etwa die Entwicklung von maßgeschneiderten Service-Angeboten oder die Verbesserung der Effizienz des Verkaufspersonals. Was Kunden eigentlich wollen, ist ein beschleunigter Innovationsprozess (73 Prozent) und Exzellenz in allen Prozessen (70 Prozent).

Ein Missverhältnis zwischen den Bemühungen der Chemieunternehmen und den Anforderungen ihrer Kunden besteht auch bei den Kaufkriterien. Nicht erkannt wird von Chemieunternehmen vor allem die Bedeutung, die ökologische und soziale Nachhaltigkeit für ihre Kunden spielen.

Mehr Innovationssprünge gewünscht

Wie bereits 2011 konzentrieren sich die europäischen Chemieunternehmen bei ihren Innovationsbemühungen darauf, als Innovationsführer innerhalb der Branche wahrgenommen zu werden (78 Prozent) sowie neue Produkteigenschaften (72 Prozent) zu entwickeln. Um die Entwicklung neuer Produkte bemühen sich nur 37 Prozent der befragten Hersteller, während sie jedoch von mehr als zwei Dritteln der Kunden nachgefragt werden.

Dieses Dilemma spiegelt sich in den gesunkenen Ausgaben für Innovation. Zwar ist der Anteil an Chemieunternehmen, der mehr als zehn Prozent des Umsatzes für Innovation ausgibt, im Vergleich zu 2011 stabil geblieben; der Anteil, der fünf bis zehn Prozent ausgibt, hat sich indes halbiert. Und während 2011 nahezu kein Unternehmen weniger als zwei Prozent für Innovation ausgegeben hat, ist dieser Anteil nun auf 15 Prozent angewachsen.

Lewe erklärt: „Die Innovationsleistung vieler europäischer Chemieunternehmen ist hinter den Erwartungen der Kunden zurückgeblieben. Das gilt vor allem für den zunehmenden Wunsch der Kunden nach bahnbrechenden Innovationen, wie etwa neue, differenzierende Produkte oder Technologiesprünge. Statt diese zu liefern, haben die Chemieunternehmen ihr Innovationsbudget gekürzt und sich darauf konzentriert, ihre Innovationseffizienz zu verbessern. Eine intensivere Kooperation entlang der gesamten Lieferkette wird sehr hilfreich dabei sein, die verfügbaren Mittel für Innovation an den richtigen Stellen auszugeben.“

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