Drahtlose Kommunikation zwischen Atomen

Interatomarer Coulombzerfall in Neon-Dimeren erstmals zeitaufgelöst vermessen

06.08.2013 - Deutschland

Forscher des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik haben am Freie-Elektronen-Laser FLASH (DESY, Hamburg) erstmals direkt die Zeitdauer eines strahlungslosen Energietransfers zwischen Atomen eines Neon-Dimers gemessen. Die effiziente Umverteilung von Energie in molekularen Systemen nach Einwirkung energiereicher Strahlung ist von grundlegender Bedeutung für viele chemische und biochemische Reaktionen.

Max-Planck-Institut für Kernphysik

Energieschema zum interatomaren Coulombzerfall (ICD) im Neon-Dimer nach 2s-Ionisation eines der beiden Atome (links). Die diskreten gebundenen Zustände mit der entsprechenden Besetzung an Elektronen (grüne Kreise) sind als horizontale Linien dargestellt. Darüber grün schattiert jeweils ab der Ionisationsgrenze der Bereich der kontinuierlichen Zustände freier Elektronen. Das 2s-Loch im Ne+-Ion (links) wird durch ein 2p-Elektron aufgefüllt. Durch elektrische Wechselwirkung (rot gestrichelte Linie) mit einem 2p-Elektron im benachbarten (Abstand R) neutralen Ne-Atom kann dieses ionisiert werden.

Für den Energietransfer in atomaren und molekularen Systemen spielen strahlungslose Prozesse nach Einwirkung energiereicher Strahlung eine große Rolle. Gerade für leichte Atome sind diese gegenüber der Emission von Licht (Fluoreszenz) oft wesentlich schneller und effizienter. Viele chemische oder gar biochemische Reaktionen werden durch Umverteilung von Energie bestimmt, die – an einer Stelle absorbiert – an einer anderen Stelle zu interner Bewegung oder gar dem Aufbruch einer chemischen Bindung führen kann. Vielfach wird hier die Energie durch die Bewegung von Elektronen transportiert, aber auch die elektrische Kraft zwischen Elektronen allein reicht für einen effizienten Energietransfer aus – selbst über (auf atomarem Maßstab) größere Distanzen.

Ein Beispiel für einen sehr effizienten Energietransfer zwischen schwach gebundenen Atomen ist der so genannte interatomare Coulombzerfall (ICD). Er wurde Ende der 1990er Jahre von Lorenz Cederbaum, Professor für Physikalische Chemie an der Universität Heidelberg, vorhergesagt. Die Abbildung veranschaulicht diesen Prozess am Beispiel eines Neon-Dimers (Ne2), bestehend aus zwei sehr schwach aneinander gebundenen Neon-Atomen. Zunächst wird durch Einwirkung energiereicher Strahlung (z. B. Absorption von UV-Licht) ein inneres Elektron (Zustand 2s) von einem der beiden Neon-Atome entfernt. Das zurückbleibende ‚Loch‘ kann dann durch eines der äußeren 2p-Elektronen aufgefüllt werden. Da diese Energie nicht ausreicht, um ein weiteres 2p-Elektron herauszuwerfen (atomarer Auger-Effekt), kann sich ein einzelnes Neon-Ion nur durch Emission von Licht stabilisieren, was verhältnismäßig langsam (innerhalb von einigen Nanosekunden) geschieht. Befindet sich aber nun – wie in dem Dimer – in der Nähe (Abstand R) ein weiteres neutrales Neon-Atom, so kann dieses die Energie strahlungslos aufnehmen, was dort zur Freisetzung eines 2p-Elektrons ausreicht. Der Energieübertrag wird durch die elektrische (Coulomb-)Wechselwirkung der beiden aktiven Elektronen vermittelt.

Es ist aus verschiedenen Untersuchungen bekannt, dass der ICD recht effizient und rasch abläuft. Wie schnell dies aber vor sich geht, konnte bisher nicht direkt experimentell bestimmt werden. Der Gruppe um Robert Moshammer vom Heidelberger Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) ist diese Messung nun erstmals gelungen. Dazu haben die Forscher am Freie-Elektronen-Laser in Hamburg (FLASH) Neon-Dimere mit extremer UV-Strahlung bestrahlt, wobei sie jeweils Paare von Lichtblitzen mit einstellbarer Verzögerung verwendeten. „Mit dem ersten Blitz erzeugen wir ein 2s-Loch in einem der beiden Atome und fragen dann mit dem zweiten Blitz ab, ob das andere Atom bereits durch ICD ebenfalls ionisiert wurde“, erläutert Kirsten Schnorr, Doktorandin am MPIK. Dabei ergab sich, dass der ‚drahtlose‘ ICD-Energietransfer typischerweise 150 Femtosekunden (10–15 s) dauert. Dies ist sehr schnell im Vergleich zur o. g. Fluoreszenz, aber immer noch ca. 100.000 mal langsamer als die Zeit, die ein Lichtstrahl für die Distanz (R) von einigen Atomdurchmessern zum Nachbaratom benötigt. Daraus folgt, dass die Geschwindigkeit des ICD durch die Zeit bestimmt wird, in welcher sich das 2s-Loch auffüllt. Wie bei allen Quantenprozessen dieser Art geschieht dies zufällig innerhalb einer bestimmten Lebensdauer (Halbwertszeit).

Der Energietransfer über ICD ist immer dann von Bedeutung, wenn ein angeregtes Atom Energie an seine unmittelbare Umgebung strahlungslos abgeben kann. So wurde dies u. a. auch in Anordnungen von Wassermolekülen gefunden, die über Wasserstoffbrücken ebenfalls nur schwach untereinander gebunden sind. Die Ionisierung der Umgebung durch ICD ist auch für biologische Systeme relevant bis hin zu medizinischen Fragestellungen (Strahlenschutz und -therapie).

Die experimentellen Daten stimmen gut mit theoretischen Vorhersagen überein. Allerdings nur, wenn bei den Rechnungen die Bewegung der Ne-Atome zwischen der Anregung und dem ICD-Zerfall berücksichtigt wird. Diese Abhängigkeit soll in weiteren Experimenten näher untersucht werden.

 

Originalveröffentlichung

Kirsten Schnorr et al.; Time-Resolved Measurement of Interatomic Coulombic Decay in Ne2, Physical Review Letters, accepted (2013).

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