Neue atomare Kristalldynamik von Titandioxid entdeckt
Titandioxid ist ein ebenso billiger wie hochinteressanter Rohstoff. Es dient als hochweißes Pigment in Wandfarbe, als gewebeverträgliche Beschichtung von Implantaten, als Katalysator zur Ermöglichung chemischer Reaktionen, als UV-Schutz in Sonnencremen und neuestens auch als Schmutzlöser. Auch in der Halbleiterindustrie wird an einer Verwendung von Titanoxid gearbeitet. Grundlage für all diese Anwendungen könnten atomare Eigenschaften sein, die Ulrike Diebold vom Institut für Angewandte Physik der Technischen Universität Wien und Annabella Selloni vom Frick Laboratory der US-amerikanischen Princeton University mit ihren Teams jetzt entschlüsselt haben.
Sauerstoff dockt an
Diebolds eigentliches Spezialgebiet sind die physikalisch-chemischen Eigenschaften von Oberflächen. „Materialien haben an ihren Oberflächen besondere Eigenschaften, die sowohl für die Theorie als auch für praktische Anwendungen besonders spannend sind“, erklärt die Forscherin. Die Oberfläche von Titandioxid tritt beispielsweise in atomare Wechselwirkungen mit dem Sauerstoff der Luft. Was dabei auf atomarer Ebene genau passiert, das konnten Diebold, Selloni und ihr Team nun erstmals bis in die Details nachweisen. Dazu machte Martin Setvín aus Diebolds Team in Wien Aufnahmen mit einem so genannten Rastertunnelmikroskop. Dabei fährt eine mikroskopisch kleine Metallspitze sehr nahe über die Oberfläche des Kristalls, ohne ihn jedoch zu berühren. Mittels einer zwischen der abtastenden Spitze und der Probe angelegten Spannung fließt ein so genannter Tunnelstrom, dieser Strom wird gemessen und grafisch dargestellt.
Angesaugte Atomlücken
Mit dieser Methode entstehen beeindruckende Bilder, auf denen man einzelne Atome gut ausmachen kann. Den Forschern gelang es nun, mit einer hohen elektrischen Spannung zwischen Rasterspitze und Kristall Lücken im Atomgefüge, die durch einzelne fehlende Sauerstoffatome entstehen, aus der Tiefe des Materials an die Oberfläche zu holen und abzubilden. Damit aber nicht genug. Diebolds Team konnte eine Reihe von Aufnahmen machen, in denen deutlich zu erkennen ist, wie sich bisher nur theoretisch vorhergesagte, verschieden ionisierte Varianten von Sauerstoffmolekülen in die Oberfläche des Kristallgefüges einbetten.
Treibstoff aus CO2, Titandioxid und Licht?
Mit ihrer Arbeit war es dem Forschenden erstmals möglich, diese atomare Dynamik im Titanoxidkristall, die bisher nur in der Theorie vorhergesagt worden war, mit Experimenten zu bestätigen. „Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, wie wichtig diese Sauerstofflücken für die chemischen Eigenschaften von Titanoxid sind“, freut sich Diebold über die neuen Daten aus ihrer Arbeitsgruppe, „wir konnten auch zeigen, dass man mit einem elektrischen Feld den Ladungszustand der photokatalytisch aktiven Sauerstoffatome steuern kann. So wird es in Zukunft vielleicht möglich sein, aktivere, sauerstoffreichere Photokatalysatoren zu erzeugen, mit deren Hilfe man Wasser zu Wasserstoff umwandeln kann oder gar die Herstellung energiereicher Kohlenwasserstoffe aus Kohlendioxid, Titandioxid und Licht.“
Originalveröffentlichung
Martin Setvín, Ulrich Aschauer, Philipp Scheiber, et al., „Reaction of O2 with Subsurface Oxygen Vacancies on TiO2 Anatase (101)“, Science, 30. August 2013
Meistgelesene News
Originalveröffentlichung
Martin Setvín, Ulrich Aschauer, Philipp Scheiber, et al., „Reaction of O2 with Subsurface Oxygen Vacancies on TiO2 Anatase (101)“, Science, 30. August 2013
Weitere News aus dem Ressort Wissenschaft
Holen Sie sich die Chemie-Branche in Ihren Posteingang
Ab sofort nichts mehr verpassen: Unser Newsletter für die chemische Industrie, Analytik, Labor und Prozess bringt Sie jeden Dienstag und Donnerstag auf den neuesten Stand. Aktuelle Branchen-News, Produkt-Highlights und Innovationen - kompakt und verständlich in Ihrem Posteingang. Von uns recherchiert, damit Sie es nicht tun müssen.