50 Jahre Spurensuche

Seit Oktober 1963 misst die PTB kleinste Mengen radioaktiver Stoffe in der Luft – ein Jubiläum

25.10.2013 - Deutschland

Meist stammen sie aus unserer natürlichen Umwelt, manchmal aber auch aus Atomwaffentests oder Unfällen: radioaktive Stoffe in der bodennahen Luft. Seit genau 50 Jahren werden sie von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) gemessen. Die Wissenschaftler können dabei äußerst geringe Spuren dieser Stoffe finden, die möglicherweise sogar in weiter Entfernung freigesetzt wurden. Mitunter führt diese „Spurensuche“ zu überraschenden Quellen, beispielsweise zu einem Krematorium, in dem ein Toter eingeäschert wurde, der kurz zuvor nuklearmedizinisch mit Selen-75 behandelt worden war.

Um der Quelle radioaktiver Substanzen in der Luft auf die Spur zu kommen, benötigt man ein weit verzweigtes Netzwerk aus Messstellen sowie detaillierte Kenntnisse von Wind und Wetter. Nur dann lassen sich mögliche Transportwege, auf denen der Wind mit radioaktiven Stoffen belegten Staub herbeigeweht hat, nachvollziehen und zurückverfolgen. Aus diesem Grunde wurde 1987 nach dem Unfall im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl das Integrierte Mess- und Informationssystem (IMIS) eingerichtet, zu dem auch die Messeinrichtung der PTB zählt. Das IMIS ist ein umfassendes Messsystem, das zum Schutz der Bevölkerung die Radioaktivität in allen wichtigen Umweltmedien ständig im gesamten Bundesgebiet überwacht und eng mit vergleichbaren Einrichtungen in ganz Europa zusammenarbeitet.

Als die Wissenschaftler der PTB im Oktober 1963 mit der regelmäßigen Messung radioaktiver Stoffe in der Luft begannen, hatten sie in erster Linie die Substanzen im Blick, die durch Atomwaffentests seit den 1940er-Jahren in die Atmosphäre gelangt waren und sich durch Luftbewegungen weltweit verteilt hatten. Nachdem sich zumindest ein Teil der Weltgemeinschaft 1962 auf einen Verzicht oberirdischer Atomtests geeinigt hatte, sanken die Konzentrationen dieser Stoffe langsam wieder. Nun gerieten mehr und mehr die in der Natur vorkommenden radioaktiven Elemente in den Vordergrund der Untersuchungen sowie jene, die bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie freigesetzt werden.

Glücklicherweise mussten die PTB-Mitarbeiter in den vergangenen 50 Jahren nur wenige auffällige Ergebnisse größeren Ausmaßes registrieren. Dazu zählen die atmosphärischen Atomwaffentests, die trotz des Verzichtabkommens noch bis 1980 durchgeführt wurden, und natürlich der Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl 1986. Bei der Analyse des Staubfilters konnte die PTB 2011 auch die Spuren des Unfalls in Fukushima leicht nachweisen, doch betrugen die hier gemessenen Werte des in Japan freigesetzten Cäsium-137 höchstens ein Tausendstel dessen, was nach dem Tschernobyl-Unglück erfasst worden war. Für Herbert Wershofen, der seit März 1989 die Spurenmessstelle der PTB leitet, ist es wichtig, die gemessenen Werte für den Bürger verständlich zu machen und ins Verhältnis zu setzen: „Radioaktivität aus natürlichen Quellen ist immer in unserer Atemluft enthalten. Beryllium-7 beispielsweise entsteht durch die kosmische Höhenstrahlung. Die Aktivitätskonzentrationen von Iod-131, die wir nach Fukushima gemessen haben, überstiegen nur an einem einzigen Tag die des natürlichen Berylliums. Da war schnell klar: Für deutsche Bürger bestand keine Gefahr.“ Nichtsdestotrotz wird beim Verdacht auf eine erhöhte Radioaktivität in der Luft auf Veranlassung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf den Intensivbetrieb umgeschaltet. Dann werden Proben täglich, statt wie im Normalfall wöchentlich, analysiert und die Ergebnisse ans Bundesamt für Strahlenschutz gemeldet. Sicherheit geht vor.

Obwohl der Luftstaubsammler auf dem PTB-Gelände wie ein unscheinbarer grauer Kasten aussieht, ist er Teil eines sehr empfindlichen Analyseablaufs. Rund 20 000 Kubikmeter Luft saugt er pro Tag ein. Deren staubige Fracht verbleibt in seinem Filter. Dieser wird im Normalfall wöchentlich entnommen, getrocknet und einer ersten Analyse im Gammaspektrometer unterzogen, um leichtflüchtige Nuklide zu entdecken, die im weiteren Verlauf der Analyse verloren gehen würden. Dann wird der Filter verascht und die Asche in einem Bohrloch-Reinstgermaniumspektrometer über eine Woche lang gemessen. Auf diese Weise lässt sich für die meisten Gammastrahler eine Nachweisgrenze von 5 ∙ 10–8 Becquerel pro Kubikmeter erreichen. Das entspricht einem radioaktiven Zerfall pro Sekunde in 20 Millionen Kubikmetern Luft – empfindlicher geht es kaum. Nur Alpha- und Betastrahlern kommt man durch aufwendigere Untersuchungen, die einmal monatlich durchgeführt werden, noch empfindlicher auf die Spur. Hier liegen die Nachweisgrenzen unter 1 ∙ 10–9 Becquerel pro Kubikmeter.

Bei solch hoher Messempfindlichkeit entgeht den Wissenschaftlern so gut wie nichts. Sie bemerken sogar den Pollenflug der Fichten, denn Fichtenpollen lagern z. B. Kalium und dessen radioaktives Isotop K-40 ein. Der Pollenflug lässt dann die Konzentration dieses Radionuklides in der Luft ansteigen. Ähnliche Effekte treten bei der Getreideernte auf, beim Pflügen der Felder, dem Anfeuern der Holzöfen im Winter und dem Abbrennen des Silvesterfeuerwerks – immer werden natürliche radioaktive Stoffe freigesetzt oder aufgewirbelt. Hier sind ein scharfes Auge, die Beobachtung des Standes von Vegetation und landwirtschaftlichen Aktivitäten sowie der Austausch mit anderen Messstellen und viel Erfahrung gefragt, um neben natürlichen Schwankungen auch kleinen Mengen künstlicher Radionuklide auf die Spur zu kommen.

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