Mit Röntgenlaser live beobachtet: Elektrizität steuert Magnetisierung
Teresa Kubacka
Joshua J. Turner/LCLS
Daten werden heutzutage meist magnetisch gespeichert. Dafür nutzt man Materialien, in denen man verschiedene magnetische Ordnungen erzeugen kann, das heisst, die winzigen Elementarmagnete im Inneren des Materials sind bei den beiden Ordnungen verschieden ausgerichtet. So kann man in dem Material ein Bit speichern – die kleinste Einheit der Information, für die es zwei Möglichkeiten gibt – oft als 0 und 1 bezeichnet. In dem Speicher entsprechen diese den beiden verschiedenen magnetischen Ordnungen. In einer echten Festplatte, die viel Information speichern soll, gibt es viele kleine Bereiche, die jeweils einem solchen Bit entsprechen. Will man die Information auf der Festplatte verändern, muss man darin teilweise von der einen zur anderen Ordnung schalten – das geschieht heute mit dem Magnetfeld eines kleinen Magneten.
Einfacher als ein magnetisches Feld lässt sich auf kleinem Raum ein elektrisches Feld erzeugen, sodass man im Prinzip kleinere Speicher bauen könnte, wenn die Magnetisierung mit elektrischen Feldern geschaltet werden könnte. Eine entsprechende Verknüpfung von magnetischen und elektrischen Eigenschaften zeigen sogenannte multiferroische Materialien, die seit einigen Jahren zu den aktuellsten Themen der Materialforschung gehören. Nun haben Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI und der ETH Zürich das Material TbMnO3 untersucht und gezeigt, dass sich seine Magnetisierung durch ein elektrisches Feld in Zeiträumen von Pikosekunden (10-12 s = der millionste Teil einer Millionstelsekunde) verändern lassen, was wesentlich kürzer ist als die Zeiten, in denen heutige Festplatten umgeschaltet werden. „Damit ist gezeigt, dass multiferroische Materialien elektrisch schnell genug geschaltet werden können, um in Magnetspeichern eingesetzt zu werden“, erklärt Urs Staub, Forschungsgruppenleiter am PSI und einer der Leiter des Forschungsprojekts. „Das elektrische Schalten könnte zahlreiche Vorteile haben. Um ein magnetisches Feld zu erzeugen, braucht man eine Spule, durch die ein Strom fliesst. Ein elektrisches Feld lässt sich ohne Strom erzeugen.
Zwar wird man das Material, das wir untersucht haben, nicht in technischen Geräten nutzen können – man braucht sehr niedrige Temperaturen und starke elektrische Felder, um die relevanten Phänomene zu beobachten. Aber das grundsätzliche Ergebnis gilt wohl auch für Materialien, die eher für Anwendungen geeignet sein werden und voraussichtlich aus einer Kombination dünner Schichten verschiedener Materialien bestehen werden.“
Belichtungszeit: 0,00'000'000'000'01 Sekunden
Das Experiment beruht auf dem Zusammenspiel zweier Laser – eines Terahertzlasers, der gut in einem Labor Platz findet, und des Röntgenlasers LCLS, einer rund drei Kilometer langen Grossforschungsanlage am SLAC National Accelerator Laboratory im kalifornischen Menlo Park. Im Experiment wurde das Material mit kurzen Lichtblitzen aus dem Terahertzlaser beleuchtet, die nur wenige Pikosekunden lang waren. Licht besteht aus einem elektrischen und einem magnetischen Feld, die periodisch stärker und schwächer werden. Die Terahertzblitze waren so kurz, dass die elektrischen Felder darin nur wenige Schwingungen durchführen konnten. Mit Experimenten am Röntgenlaser LCLS konnten die Forschenden zeigen, dass die magnetische Struktur durch den Lichtblitz ausgelenkt wurde und – mit einer kleinen Verzögerung – der Schwankung des elektrischen Feldes in dem Lichtblitz folgte. Der magnetische Anteil des Lichts war dabei zu schwach, um die magnetische Struktur zu beeinflussen. Der Röntgenlaser erzeugt sehr kurze (100 Femtosekunden = 0,00 000 000 000 01 Sekunden) und intensive Blitze aus Röntgenlicht. Diese sind so sehr viel kürzer als der Blitz aus dem Terahertzlaser, dass sich damit gewissermassen Standbilder von verschiedenen Stadien der Bewegung erzeugen lassen. Das LCLS ist heute eine von zwei Anlagen weltweit, an denen solche Experimente möglich sind. In Zukunft wird man sie auch am Röntgenlaser SwissFEL durchführen können, der zurzeit am Paul Scherrer Institut entsteht. „Ein solches Experiment lässt sich nur an einem Röntgenlaser durchführen, weil nur die Pulse aus dem Röntgenlaser die magnetische Ordnung zeigen und gleichzeitig kurz genug sind, damit man die zeitlichen Verläufe verfolgen kann“, erklärt Staub.
Verkippte Elementarmagnete
Eine magnetische Ordnung, in der Daten gespeichert werden können, kann verschieden aussehen. In heutigen Festplatten sind die magnetischen Bereiche ferromagnetisch geordnet, das heisst, die Elementarmagnete – oder fachlich korrekt – die magnetischen Momente sind im entsprechenden Bereich alle in die gleiche Richtung ausgerichtet. In dem hier betrachteten Material sind die Momente in Reihen hintereinander angeordnet, aber so, dass zwei benachbarte Momente nicht parallel sind, sondern ein wenig gegeneinander verkippt. Wenn man sich von einem Moment zum nächsten bewegt, dreht sich die Richtung der Momente immer weiter. Dabei gibt es zwei Richtungen, in die sich die Momente drehen können – die dann den beiden Möglichkeiten für ein Bit entsprechen würden. Wenn man sich dieses Material als magnetischen Speicher vorstellt, müsste man, um den Speicherinhalt zu ändern, die Richtung ändern, in die sich die Momente innerhalb der Reihe verkippen – was gleichwertig damit ist, dass man die ganze Reihe „auf den Kopf“ stellt.
Positiv und negativ – gegeneinander versetzt
In dem multiferroischen Material kommt noch eine zusätzliche Eigenschaft hinzu: Es hat eine elektrische Polarisation, das heisst die positiven und negativen elektrischen Ladungen sind ein wenig gegeneinander verschoben. Das Material ist im Inneren aus Atomen aufgebaut, die im Wesentlichen feste Plätze in einer dreidimensionalen Struktur annehmen. Da es in den Atomen gleich viele negative (Elektronen) wie positive (Atomkerne) Ladungen gibt, ist das ganze Material elektrisch neutral. Die Elektronen sind dabei zum Teil nicht starr an die Atomkerne gebunden. So ist hier die Gesamtheit der Elektronen leicht anders verteilt als die Gesamtheit der Atomkerne, sodass die eine Seite des Materials positiv, die andere negativ geladen ist. Das Material ist also elektrisch polarisiert. Aus dem Alltag sind elektrisch polarisierte Materialien vor allem durch den piezoelektrischen Effekt bekannt, wie er etwa in Lautsprechern oder zur Erzeugung von Funken in Feuerzeugen genutzt wird.
Elektrisch und magnetisch gekoppelt
In TbMnO3 ist die elektrische Polarisation mit der magnetischen Ordnung gekoppelt, d. h., drehen sich die magnetischen Momente in eine Richtung entspricht dem auch immer eine Ausrichtung der elektrischen Polarisation; kehrt man die Polarisation um, klappt auch die Drehrichtung der magnetischen Momente um. Diese Kopplung haben die Forschenden in ihrem Experiment untersucht. Mit dem elektrischen Wechselfeld des Terahertzpulses haben sie die elektrische Polarisation beeinflusst und beobachtet, inwieweit die magnetische Ordnung dem Wechselfeld folgt. Dabei war das Feld zu schwach, um die Magnetreihe tatsächlich um 180° zu drehen und „auf den Kopf“ zu stellen, aber man konnte beobachten, dass sie im Takt des elektrischen Feldes um etwa 4° ausgelenkt wurde. „Für eventuelle Anwendungen hat dieses Verfahren noch eine weitere Bedeutung“, erklärt Teresa Kubacka, Doktorandin in der Forschungsgruppe für Ultraschnelle Dynamik an der ETH Zürich und Erstautorin der Veröffentlichung. „Der Terahertzpuls ist so abgestimmt, dass er nur die eine magnetische Ordnung anregt. Wenn sich in einem Gerät die magnetische Ordnung auch so gezielt verändern könnte, ginge deutlich weniger Energie verloren und das Material würde sich nicht so stark aufheizen.“
Exakt vermessen
Damit war es zum ersten Mal möglich geworden, eine so schnelle Veränderung in einem multiferroischen Material so exakt zu vermessen. Mit den kurzen Blitzen aus dem Röntgenlaser LCLS, mit denen das Material vermessen wurde, wurde die magnetische Struktur bestimmt. Im Prinzip wurde ein Streuexperiment durchgeführt, bei dem der Röntgenstrahl auf die untersuchte Probe geschickt wird, und man anschliessend beobachtet, in welche Richtungen das Licht von der Probe abgelenkt wird. Dabei gibt es bei diesem Material Richtungen, in die das Licht durch die atomare Struktur abgelenkt wird, und andere, bei denen die Ablenkung durch die magnetische Struktur versursacht wird. Lenkt man die magnetische Ordnung aus, verändert sich die Intensität des abgelenkten Röntgenlichts. Im Experiment wurde die magnetische Ordnung im Takt des Terahertzlasers ausgelenkt, und man hat für eine ausgewählte Richtung zu verschiedenen Zeitpunkten die Intensität des ausgelenkten Röntgenstrahls gemessen.
Experimentelle Herausforderungen
„Eine der Herausforderungen des Experiments besteht darin, die passenden Terahertzpulse zu erzeugen und sicherzustellen, dass genug von ihrer Intensität an der Probe ankommt. Solche Pulse lassen sich nicht direkt von einem Laser erzeugen, sondern müssen mit Hilfe spezieller organischer Kristalle aus Pulsen von Lasern mit einer anderen Frequenz erzeugt werden. An der ETH arbeiten wir auch an Anlagen, die Terahertzpulse erzeugen, und konnten dank unserer Erfahrung den am LCLS vorhandenen Laser an die Bedürfnisse unseres Experiments anpassen“, so Kubacka.