Fruchtbarkeitsstörungen durch Alltagschemikalien?

Konservierungsstoffe, UV-Blocker, Weichmacher und Co. beeinträchtigen die Spermienfunktion

14.05.2014 - Deutschland

Hormonell wirksame Chemikalien (endocrine disrupting chemicals; „Störer des Hormonsystems“) beeinträchtigen die Funktion menschlicher Spermien und könnten mitverantwortlich sein für Fruchtbarkeitsstörungen, die in der westlichen Welt immer häufiger auftreten. Das sind die Ergebnisse einer deutsch-dänischen Forschergruppe des Center of Advanced European Studies and Research (Forschungszentrum caesar) in Bonn und des Rigshospitalet in Kopenhagen.

© EMBO Reports, 2014

Chemische Zäune: Manche Substanzen in unserem Alltag hindern Spermien möglicherweise daran, die Hülle zur Eizelle zu durchdringen.

Endocrine disrupting chemicals sind in Lebensmitteln, Plastikflaschen, Textilien, Haushaltsprodukten, Kosmetika und Spielzeug allgegenwärtig. Bisher konnte man die schädliche Wirkung der Substanzen auf den Menschen schwer nachweisen, da keine geeigneten Testsysteme existierten.

Die Wissenschaftler entwickelten nun ein Verfahren, mit dem die Wirkung auf menschliche Spermien zuverlässig und schnell untersucht werden kann. In der Studie wurden rund 100 endocrine disrupting chemicals getestet. Etwa 30 davon stören den Kalzium-Haushalt der Spermien, darunter Bestandteile von Sonnenschutzmitteln wie 4-Methylbenzylidencampher (4-MBC), der Kunststoff-Weichmacher Di-n-butylphthalat (DnBP) sowie das antibakteriell wirkende Triclosan, das in Zahnpasta und Kosmetika enthalten ist.

Darüber hinaus untersuchten die Forscher die Wechselwirkung zwischen den Substanzen und einem Ionenkanal (cation channel of sperm; CatSper), der die Kalzium-Konzentration in Spermien kontrolliert. Bei Konzentrationen, die man auch im menschlichen Körper findet, öffnen die Substanzen den CatSper-Kanal und Kalzium strömt in die Zelle. Dieser Eingriff in den Kalzium-Haushalt ändert das Schwimmverhalten der Spermien und führt dazu, dass Enzyme freigesetzt werden, die Spermien normalerweise helfen, die schützende Hülle der Eizelle zu durchdringen.

Das Schwimmverhalten und die Enzym-Freisetzung werden durch Progesteron und Prostaglandine gesteuert –weibliche Hormone im Eileiter. Die Alltagschemikalien imitieren die Wirkung von Progesteron und Prostaglandinen und führen dazu, dass Spermien weniger empfindlich auf diese Hormone reagieren. Die Ergebnisse der deutsch-dänischen Studie deuten darauf hin, dass die endocrine disrupting chemicals den Befruchtungsvorgang durcheinander bringen: Die Substanzen könnten die Navigation der Spermien hin zur Eizelle stören oder die Spermien daran hindern, die Eihülle zu durchdringen.

Die Wissenschaftler untersuchten auch die Wirkung von endocrine disruptor-Cocktails, die verschiedene Substanzen in geringer, kaum wirksamer Konzentration enthalten; ähnliche Cocktails lassen sich im Blut nachweisen. Die Forscher beobachteten, dass die endocrine disruptor-Cocktails – trotz der kaum wirksamen Konzentrationen der einzelnen Komponenten – große Kalzium-Antworten in Spermien auslösten – ein  weiteres alarmierendes Ergebnis.

Die EU-Kommission überprüft derzeit Richtlinien über Grenzwerte für endocrine disrupting chemicals. Im vergangenen Jahr wurde die Frage, ob man die Verwendung dieser Substanzen weiter einschränken sollte, kontrovers zwischen Endokrinologen und Toxikologen diskutiert. „Zum ersten Mal konnten wir nachweisen, dass eine Vielzahl weit verbreiteter Substanzen eine direkte Wirkung auf menschliche Spermien hat“, sagt Prof. Niels E. Skakkebaek, Leiter des dänischen Forscherteams vom Rigshospitalet in Kopenhagen. „Unsere Arbeit liefert nun wissenschaftliche Belege, die helfen, neue Richtlinien zu erarbeiten”, unterstreicht der Studienleiter Dr. Timo Strünker vom Forschungszentrum caesar in Bonn.

Originalveröffentlichung

Schiffer, C. et al.; Directed action of endocrine disrupting chemicals on human sperm; EMBO Reports

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