Europäische Gewässer stärker durch Chemikalien belastet als bislang angenommen

Ökologische Ziele der Wasserrahmenrichtlinie werden vermutlich verfehlt

19.06.2014 - Deutschland

Die Gewässerqualität bis 2015 deutlich zu verbessern, das haben sich die EU-Mitgliedsstaaten nicht zuletzt durch die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) auf die Fahnen geschrieben. Wie eine aktuelle Studie des Instituts für Umweltwissenschaften Landau und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) mit Kollegen aus Frankreich (Universität Lorraine und EDF) und der Schweiz (EAWAG) zeigt, wird dieses Ziel aufgrund starker Schadstoffeinträge wohl nicht erreicht werden. Ein Grund: Aktuelle Maßnahmen zur Verbesserung der Gewässerqualität berücksichtigen Chemikalieneinträge nur unzureichend. Dabei sind die ökologischen Risiken durch Chemikalien wesentlich höher als bislang angenommen, wie die Studie erstmals auf europäischer Ebene belegt.

André Künzelmann, UFZ

Flüsse, wie hier die Donau, sind faszinierende Ökosysteme. Dem Menschen stellen sie wichtige Funktionen zur Verfügung. Aber sie werden auch durch Chemikalieneinträge beeinträchtigt.

Bislang gingen Umweltbehörden und Teile der Fachwelt davon aus, dass der Eintrag von Chemikalien eher ein lokales Problem in einigen Gewässern darstellt. Die aktuelle Untersuchung zeigt nun erstmals im großen Maßstab das ökologische Risiko durch Chemikalieneinträge für mehrere Tausend europäische Gewässer: Die chemische Belastung stellt für rund die Hälfte der europäischen Gewässer ein ökologisches Risiko dar. Bei rund 15 Prozent könnten sogar akut toxische Effekte auf Gewässerorganismen auftreten.

Reale Situation europäischer Gewässer vermutlich noch schlechter

Untersucht haben die Wissenschaftler aus Landau und Leipzig mit den französischen und schweizerischen Kollegen EU-weite Überschreitungen von Risikoschwellen in den Einzugsgebieten großer Gewässer wie Donau und Rhein. Für diese Flussgebietseinheiten wurde berechnet, in welchem Maße die Risikoschwellen für die drei Organismengruppen Fische, Wirbellose und Algen/Primärproduzenten in den vergangenen Jahren überschritten wurden. Die analysierten Daten stammen aus der behördlichen Überwachung. Die Probenabdeckung ist daher räumlich und zeitlich sehr unterschiedlich, so dass direkte Vergleiche zwischen den Ländern teilweise schwierig sind. Dass etwa Frankreichs Gewässerqualität laut der Studie am schlechtesten dasteht, liegt vermutlich daran, dass die Behörden dort über ein sehr engmaschiges Messnetz verfügen und viele Substanzen analysiert werden. In anderen Ländern werden Risiken durch unzureichende Überwachung dagegen gar nicht erkannt. „Generell haben wir in unserer Analyse das Risiko eher unter- als überschätzt“, so Studienleiter Jun.-Prof. Dr. Ralf B. Schäfer vom Institut für Umweltwissenschaften Landau. „Die reale Situation der europäischen Gewässer ist wahrscheinlich noch schlechter“.

Der Eintrag der Chemikalien in die Gewässer erfolgt größtenteils durch die Landwirtschaft und städtische Kläranlagen. Pestizide stellen mit Abstand die stärkste Belastung für die Gewässer dar, allerdings treten auch Organozinnverbindungen, bromierte Flammschutzmittel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, die aus Verbrennungsprozessen resultieren, in bedenklichen Konzentrationen auf. Aktuell fokussieren die EU-Vorgaben zur Gewässerqualität vor allem auf Einträge von sogenannten prioritären Stoffen, d.h. rund 40 Chemikalien, die als besonders gefährlich eingestuft wurden. „Glücklicherweise sind viele dieser prioritären Substanzen heute nicht mehr zugelassen und ihre Konzentrationen gehen vielerorts zurück. Das Problem ist aber, dass viele aktuell verwendete Chemikalien bei der Überwachung der Gewässer gar nicht berücksichtigt werden“, so Dr. Werner Brack vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Zudem zeigen neuere Erkenntnisse, dass die angenommenen Wirkschwellen für einige Stoffe zu hoch angesetzt sein könnten.

Konkretere Rahmenvorgaben und Koordination unabdingbar

Um der Vielfalt möglicherweise schädlicher Stoffe in der Umwelt gerecht zu werden, empfehlen die an der Studie beteiligten Wissenschaftler daher eine intelligente Verknüpfung von ökologischen, wirkungsbasierten und chemischen Screening-Methoden. Nur so kann mit vertretbaren Kosten das ganze Spektrum an ökotoxikologisch relevanten Substanzen erfasst werden. „Gefährliche Stoffe können auch dann aufgespürt werden, wenn sie noch nicht auf die Prioritätenliste gesetzt wurden“, verdeutlicht Werner Brack. Allerdings zeigt die aktuelle Studie, dass auch auf Grundlage der heute bereits überwachten Stoffe Handlungsbedarf besteht. „Für die Praxis bedeutet das, dass sich auf allen Ebenen dringend etwas bewegen muss zum nachhaltigen Schutz der Gewässer“, so Schäfer. Das reicht von der generellen Vermeidung von Chemikalieneinträgen in Gewässer und dem Ersetzen von besonders problematischen Substanzen über die Verringerung der Ausbringung von landwirtschaftlichen Chemikalien bis hin zur verbesserten Klärung von Abwässern. Die Forschergruppe ist sich einig: Es ist zu befürchten, dass die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie auf Grund der massiven chemischen Belastung verfehlt werden, sollte sich an der aktuellen Situation nichts ändern. Längerfristig habe das auch Risiken für den Menschen zur Folge, wenn beispielsweise Funktionen des Ökosystems, wie die Selbstreinigungskraft des Wassers, beeinträchtig werden.

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