Eiskalt erwischt: Neutronen beleuchten Wirkmechanismus lebenswichtiger Enzyme
Grafik: A. Ostermann / TUM
Cytochrom-c-Peroxidasen (CCP) gehören zu der großen Familie der eisenhaltigen Hämenzyme. Die in ihnen enthaltene Hämgruppe spielt in vielen wichtigen biologischen Prozessen eine Rolle und findet sich unter anderem in dem Sauerstofftransport-Protein Hämoglobin, das dem Blut seine rote Farbe verleiht. Die Hauptaufgabe der modellhaft untersuchten CCP besteht darin, Wasserstoffperoxid (H2O2) zu Wasser (H2O) zu reduzieren und damit Zellen in nahezu allen atmenden Organismen zu entgiften.
Die Reaktion läuft in mehreren Schritten ab, bei denen die langkettigen, komplex gefalteten CCP-Moleküle verschiedene Zwischenzustände einnehmen. Den sogenannten Zwischenzustand I gibt es in vielen Hämenzymen, die Sauerstoff übertragen und beim Abbau von Medikamenten eine wichtige Rolle spielen.
Trotz zahlreicher Untersuchungen ließ sich bisher nicht eindeutig klären, wie die Struktur im aktiven Zentrum dieses Zwischenzustands genau beschaffen ist. Besonders die wichtige Bindung zwischen dem Eisenatom im aktiven Hämzentrum und dem Sauerstoff wurde in den vergangenen dreißig Jahren kontrovers diskutiert. Dabei blieb bis zuletzt die Frage offen, ob ein zusätzliches Wasserstoffatom am Sauerstoff gebunden ist – oder eben nicht, wie die Wissenschaftler nun überraschend festgestellt haben.
Sowohl spektroskopische- als auch Röntgenuntersuchungen scheiterten bisher an der Aufgabe, die Zwischenstruktur zu erfassen. Die ionisierenden Röntgenstrahlen spalten Wassermoleküle im Proteinkristall und erzeugen so freie Elektronen, mit denen das Eisen im aktiven Zentrum des Enzyms reagiert. Dadurch verändert sich der Zustand des aktiven Zentrums.
„Bei Neutronen besteht die Gefahr einer solchen Ionisierung nicht. Zudem sind Neutronen besonders sensitiv für Wasserstoffatome“, erklärt Dr. Andreas Ostermann von der TU München. Gemeinsam mit Dr. Tobias Schrader vom Forschungszentrum Jülich hat er die Messungen am Heinz Maier-Leibnitz Zentrum (MLZ) betreut und die Rohdaten für die Auswertung geliefert.
„Neutronenstreuung ist deshalb eine ideale Ergänzung zu Röntgenuntersuchungen, wann immer es nötig ist, die Position von Wasserstoffatomen zu bestimmen“, so Schrader. „Die Möglichkeit diese Zwischenzustände bei tiefen Temperaturen festzuhalten und gleichzeitig Informationen darüber mit der Neutronenkristallographie zu erhalten, heißt, dass wir die Wasserstoffatome endlich sehen können.“, sagt Professor Peter Moody von der Universität Leicester.
Die Forscher um Professor Dr. Emma Raven und Professor Dr. Peter Moody von der Universität Leiceister untersuchten Kristalle des Enzyms CCP sowohl an der Neutronenquelle des Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble, als auch an der Forschungs-Neutronenquelle FRM II der TUM in Garching.
Am ILL untersuchten sie den Grundzustand des Enzyms bei Raumtemperatur, am FRM II bestimmten die Wissenschaftler bei tiefen Temperaturen den Zwischenzustand I. Dazu wurde das Protein mit Wasserstoffperoxid behandelt, im aktivierten Zwischenzustand schockgefroren und mit dem Diffraktometer BIODIFF bei minus 173° Celsius analysiert. Nur so konnte das Enzym dauerhaft in seinem Zwischenzustand festgehalten und untersucht werden.
Emma Raven und ihre Kollegen fanden bei den Neutronenmessungen heraus, dass das Eisen im aktiven Zentrum nur mit einem Sauerstoff verbunden ist. Das Wasserstoffatom fehlt also. Zu ihrer Überraschung entdeckten die Wissenschaftler mit den Neutronenmessungen außerdem eine Gruppe im aktiven Zentrum, die ein weiteres Wasserstoffatom trägt, was bislang nicht bekannt war. Für diese gesamte Familie von Enzymen muss deshalb nun der Wirkmechanismus neu überdacht werden.
Originalveröffentlichung
Neutron cryo-crystallography captures the protonation state of ferryl heme in a peroxidase; Cecilia M. Casadei et al.; Science, 10.07.2014