Montagelinie im Nano-Format

28.08.2014 - Schweiz

ETH-Forschende haben einen lang gehegten Traum verwirklicht: Sie entwickelten nach industriellem Vorbild eine winzige Fertigungslinie, die dem Zusammenbau von biologischen Molekülen dient.

Samuel Hertig

Winzige biologische Röhrchen, die sogenannten Mikrotubuli dienen in der Nano-Montagelinie als Transporter für die Montage mehrerer molekularer Objekte.

Autos, Flugzeuge oder viele Elektronikprodukte werden heutzutage mithilfe von ausgeklügelten Montagelinien Schritt für Schritt zusammengebaut. Wesentliche Bestandteile solcher Linien sind fahrbare Montageträger, auf denen die Objekte wie etwa eine Autokarosserie fixiert werden. In zahlreichen Arbeitsschritten, deren Reihenfolge räumlich und zeitlich genau festgelegt sind, werden die zu verbauenden Teile an die Karosserie angebracht, bis schliesslich am Ende der Linie das Fahrzeug zusammengebaut ist.

Eine solche Montagelinie auf die molekulare Ebene zu übertragen, war ein lang gehegter Traum vieler Nano-Wissenschaftler. «Damit wäre es möglich, gezielt neue komplexe Stoffe oder Materialien zusammenzubauen», sagt Viola Vogel, Professorin für Angewandte Mechanobiologie der ETH Zürich. Sie ist mit ihrem Team dieses ambitionierte Vorhaben angegangen und kann nun einen schönen Erfolg vorweisen. In einer soeben in der Fachzeitschrift «Lab on a Chip» der Royal Society of Chemistry erschienenen Publikation stellen die ETH-Forschenden eine molekulare Montagelinie vor, in der alle Elemente einer aus dem Alltag bekannten Fertigungsstrasse vorkommen: Ein beweglicher Montageträger und ein Montageobjekt, zu verbauende Teile, die an verschiedenen Stationen montiert werden; dazu ein Antrieb für den Montageträger inklusive Treibstoff, damit der Montageträger mit dem Objekt von einer zur nächsten Fertigungsstation gelangen kann.

Fertigungslinie dreimal dünner als Haar

Ausgelegt ist die Montagelinie im Kleinstformat als mikrofluidische Plattform, in die eine wässrige Lösung gepumpt wird. Diese Plattform ist im Wesentlichen ein Kanalsystem. Der Hauptkanal ist gerade mal 30 Mikrometer breit – also rund dreimal dünner als ein menschliches Haar. In ihn münden rechtwinklig mehrere Zuflüsse und Abflüsse. Entwickelt wurde die Plattform von Vogels Doktorand Dirk Steuerwald. Hergestellt wurde der Prototyp im Reinraum von IBM Research –Zurich in Rüschlikon.

Das Kanalsystem ist mit einem Teppich aus dem «Motorenprotein» Kinesin ausgekleidet. Dieses Protein besitzt zwei bewegliche Köpfe, deren Bewegung durch das energiereiche Molekül ATP zustande kommt. ATP versorgt Zellen von Menschen und anderen Lebewesen mit Energie und ist daher auch in diesem künstlichen System der Treibstoff der Wahl.

Stufenweise Montage der Moleküle

Als Montageträger dienten den ETH-Forschenden so genannte Mikrotubuli, fadenförmige Protein-Polymere, die in Zellen gemeinsam mit Kinesin den Warentransport bewältigen. Kinesin kann mit seinen beweglichen Köpfen an die Mikrotubuli binden und durch die Bewegung die Mikrotubuli fortbewegen. Unterstützt wird diese Fortbewegung durch die Strömung der ins Kanalsystem eingepumpten Flüssigkeit. Fünf Zu- und Abflüsse sorgen dabei für eine gerichtete Strömung im Hauptkanal und teilen diesen zugleich in scharf voneinander abgesetzte Segmente ein, die sich nicht mischen: einen Landebereich, in welchen die Montageträger eingesetzt werden, zwei Montagestationen und zwei weitere Bereiche als Endstationen, wo das Produkt ausgeliefert wird.

Über die Zuleitungen zu den Montagesegmenten können die Forschenden die Objekte ins System bringen. In ihrer jüngsten Arbeit arbeiteten die Forschenden zu Testzwecken mit dem Molekül Neutravidin, das als erstes an den Nano-Shuttle bindet. Ein kurzes einzelsträngiges Stück Erbsubstanz (DNS) bindet als zweiter Baustein an Neutravidin, sodass ein kleiner Molekülkomplex entsteht.

Noch ein weiter Weg vom Prinzip zur Anwendung

Obwohl das Team von Viola Vogel mit dieser Arbeit nun einen lang gehegten Traum verwirklicht hat, gibt sich die ETH-Professorin noch vorsichtig: «Das System steht erst am Anfang, von einer technischen Anwendung sind wir weit entfernt.» Sie hätten hier erst bewiesen, dass das Prinzip funktioniere.

Sie gibt zu bedenken, dass es recht einfach aussehe, ein solches molekulares Nano-Shuttle-System zu bauen. Aber in jeder einzelnen Komponente des Systems stecke sehr viel Denkarbeit und Wissen aus verschiedenen Disziplinen. Aus Einzelkomponenten eine funktionsfähige Einheit zu bilden, sei nach wie vor eine grosse Herausforderung. «Wir haben auch viel darüber nachgedacht, wie man die mechanischen Eigenschaften von Bindungen gestaltet, um die Shuttles mit ihrer Fracht zu beladen und diese am richtigen Ort auch wieder zu entfernen.»

Biologische Motoren für technische Anwendungen zu nutzen, ist nicht einfach. Molekulare Motoren wie das Kinesin müssen dazu aus dem biologischen Zusammenhang entfernt und in ein künstliches Gebilde eingebaut werden, ohne ihre Funktionalität zu verlieren. Auch mussten sich die Forschenden überlegen, wie sie die Motoren mit Energie versorgen, wie sie Montageträger bauen, wie die «Schiene» und die Montagestationen aussehen. «Das sind alles separate Probleme, die wir nun zu einem funktionierenden Ganzen kombinieren konnten», freut sich Vogel.

Ausgereifte Produkte von der Nano-Montagelinie

Den Forschenden schweben denn auch zahlreiche mögliche Anwendungen vor, wie etwa die gezielte Modifikation von Biomolekülen wie Proteinen oder DNA, der Zusammenbau von nanotechnologischen Bausteinen oder kleinen Bio-Polymeren, aber auch die chemische Veränderung von Kohlenstoff-Nanotubes. «Das System muss künftig weiter optimiert werden, und wir müssen weiterhin viel darüber lernen, wie wir die einzelnen Komponenten dieses Nano-Shuttlesystems gestalten, damit es eines Tages für solche Anwendungen zur Verfügung steht», sagt die ETH-Professorin. Die Voraussetzungen, auf diesem Gebiet weiter zu forschen, sind ausgezeichnet: Ihre Gruppe ist nun Teil des neuen in Basel angesiedelten Nationalen Forschungsschwerpunktes (englisch: NCCR) «Molecular Systems Engineering: Engineering functional molecular modules to factories».

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