Meilenstein bei der chemischen Untersuchung superschwerer Elemente erreicht
Erste Verbindung zwischen einem superschweren Element und Kohlenstoff hergestellt
Alexander Yakushev (GSI) / Christoph E. Düllmann (JGU)
Chemieexperimente mit superschweren Elementen – mit Ordnungszahlen jenseits von 104 – stellen eine große Herausforderung dar. Zunächst muss das zu untersuchende Element künstlich an einem Teilchenbeschleuniger hergestellt werden. Die Produktionsraten liegen bei höchstens einigen Atomen pro Tag, bei den schwersten Elementen sogar noch darunter. Hinzukommt, dass die Atome instabil sind: Bei der aktuellen Arbeit betrug die Lebensdauer nur etwa zehn Sekunden. Trotz des großen Aufwands ist die Wissenschaft sehr an der Untersuchung der superschweren Elemente interessiert, weil sie einen Test des Einflusses der Einsteinschen Relativitätstheorie auf die Chemie ermöglicht. Die vielen positiv geladenen Protonen im Atomkern der „Superheavies“ beschleunigen die Elektronen in der Atomhülle auf hohe Geschwindigkeiten – bis auf etwa 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Gemäß der Relativitätstheorie werden die Elektronen dadurch schwerer, als wenn sie in Ruhe wären, was sich auf ihren Aufenthaltsort in der Atomhülle auswirkt und folglich auf die chemischen Eigenschaften. Dies wird im Vergleich mit homologen Elementen untersucht, die eine ähnliche Struktur in ihrer Atomhülle besitzen und in derselben Gruppe des Periodensystems stehen. Solche Studien eröffnen einen Zugang zu den fundamentalen Pfeilern des Periodensystems der Elemente, dem grundlegenden Ordnungsschema der Elemente für Chemiker in aller Welt.
Vor diesem Hintergrund wurde bereits seit einigen Jahren nach neuen Systemen gesucht, in denen relativistische Effekte klar zum Ausdruck kommen. Vorbereitend für die aktuellen Experimente entwickelten die Superschwere-Elemente-Chemie-Arbeitsgruppen am Institut für Kernchemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), des Helmholtz-Instituts Mainz (HIM) und des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt in Zusammenarbeit mit Schweizer Kollegen vom Paul Scherrer Institut, Villigen, und der Universität Bern eine neuartige Experimentmethode. Erste Testexperimente am Forschungsreaktor TRIGA Mainz waren insbesondere mit kurzlebigen Molybdän-Atomen erfolgreich. Die Methode wurde an der Universität Bern und in Beschleunigerexperimenten an der GSI weiterentwickelt. Dr. Alexander Yakushev von der GSI-Gruppe erläutert: „Eine große Herausforderung in solchen Experimenten ist der intensive Ionenstrahl des Beschleunigers, der auch moderat stabile chemische Verbindungen zerstört. Um dies zu verhindern, wurden Wolfram-Atome – die schwereren Brüder des Molybdäns – erst im gasgefüllten TASCA-Separator an der GSI vom Strahl abgetrennt. Die Chemieexperimente wurden dann hinter TASCA durchgeführt, unter idealen Bedingungen für die Untersuchungen der neuen Verbindungen." Das Augenmerk lag auf der Bildung von Hexacarbonylkomplexen. Theoretische Arbeiten, die in den 1990er-Jahren begannen, sagten vorher, dass Seaborgium solche Komplexe mit relativ hoher Stabilität bilden sollte. An die sechs Kohlenstoffmonoxid-Moleküle ist das Seaborgium durch Metall-Kohlenstoffbindungen, wie sie auch für die organometallischen Verbindungen typisch sind, gebunden. Viele solche Verbindungen weisen die gewünschte Bindungssituation auf, von der die Schwerelementechemiker lange geträumt hatten.
Die Schwerelementegruppe am RIKEN Nishina Center (RNC) in Japan optimierte die Produktion des Seaborgiums in der Kernfusion eines Neon-Ionenstrahls (Element 10) mit einem Curium-Target (Element 96) und die Abtrennung des Seaborgiums in ihrem gasgefüllten Separator GARIS. Dr. Hiromitsu Haba, der Leiter des Teams bei RIKEN, erläutert: „In der konventionellen Herangehensweise zur Produktion superschwerer Elemente wird der zweifelsfreie Nachweis einzelner Atome der superschweren Elemente wie des Seaborgiums oft durch viele unerwünschte Reaktionsprodukte unmöglich gemacht. Die Verwendung von GARIS erlaubte uns schließlich, Signale von Seaborgium und damit seine Produktionsrate und die Zerfallseigenschaften zu messen. GARIS eröffnete damit die Möglichkeit, neuartige chemische Studien mit Seaborgium in Angriff zu nehmen."
Im Jahr 2013 untersuchten die beiden Teams zusammen mit Kollegen aus der Schweiz, aus Japan, den USA und China in Experimenten am RNC, ob sie Verbindungen wie Seaborgiumhexacarbonyl synthetisieren könnten. Nach zwei Wochen Experimentzeit rund um die Uhr, in denen die deutsche Chemieapparatur an den japanischen Separator gekoppelt wurde, hatte das Team achtzehn Seaborgium-Atome detektiert, die als flüchtige Carbonylkomplexe im Gasstrom transportiert werden konnten. Die Gasphaseneigenschaften sowie das Adsorptionsverhalten des Komplexes auf einer Siliziumdioxidoberfläche wurden untersucht und waren ähnlich wie diejenigen der Hexacarbonyle von Seaborgiums leichteren Homologen Molybdän und Wolfram. Dies sind sehr charakteristische Verbindungen der Elemente in der sechsten Gruppe des Periodensystems. Die gemessenen Eigenschaften sind im Einklang mit theoretischen Rechnungen, in denen die Effekte der Relativität mit berücksichtigt sind.
Dr. Hideto En'yo, Direktor des RNC, führt aus: „Der Durchbruch, der in diesem Experiment erzielt wurde, wäre ohne die enge Zusammenarbeit der vierzehn Forschungszentren aus aller Welt unmöglich gewesen." HIM-Direktor Prof. Dr. Frank Maas sagt: „Das Experiment stellt einen Meilenstein der chemischen Untersuchungen superschwerer Elemente dar. Die Forscher zeigten, dass viele neue Verbindungen dieser Elemente in Reichweite der neuartigen Experimenttechniken sind. Die Perspektiven, die sich für die Untersuchung der chemischen Bindung, nicht nur in den superschweren Elementen, eröffnen, sind faszinierend."
Nach diesem ersten erfolgreichen Schritt auf dem Weg zu detaillierteren Untersuchungen der superschweren Elemente schmiedet das Team bereits Pläne für weitere Studien anderer neuer Verbindungen, auch noch schwererer Elemente als Seaborgium.