Neuer Korrosionsschutz mit Selbstheilungskräften entwickelt
Streb/Uni Ulm
Grünliche Patina mag auf dem Dach der Dorfkirche erwünscht sein, und Rost macht die Skulpturen des Künstlers Eduardo Chillida unverwechselbar. Generell ist Korrosion jedoch ein großes Problem: Rund drei Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts wird aufgewendet, um Korrosionsschäden zu beheben. Wissenschaftler der Universität Ulm haben nun eine neuartige Polyoxometallat-basierte ionische Flüssigkeit (POM-IL) entwickelt, mit der Metalle effektiv vor Korrosion durch sauren Regen und andere Umwelteinflüsse geschützt werden können. Die Besonderheit: Wird die POM-IL-Schutzschicht beschädigt, heilt sie sich binnen einer Minute selbst. Die Schicht kann darüber hinaus problemlos mit organischen Lösungsmitteln entfernt und recycled werden. In der renommierten Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“ beschreiben Forscher um Professor Carsten Streb und den Wissenschaftlichen Mitarbeiter Sven Herrmann die neuartige Verbindungsklasse.
Von den ungewöhnlichen Eigenschaften der Flüssigkeit mit dem sperrigen Namen POM-IL war selbst ihr Hersteller überrascht: Am Institut für Anorganische Chemie I hatte der damalige Masterstudent Sven Herrmann ionische Flüssigkeiten erzeugt. Diese Verbindungen sind von honigartiger Konsistenz und haften auf Metallen. Bei seinen Analysen stellte der Student darüber hinaus fest: Die neuartige Polyoxometallat-basierte ionische Flüssigkeit (POM-IL) ist nicht nur säurestabil, sondern – und das ist ungewöhnlich – auch wasserabweisend. Diese Kombination brachte den Chemiker auf die Idee, aus POM-IL einen effektiven Korrosionsschutz zu entwickeln, der Metall zuverlässig vor Säure schützt.
Zum Hintergrund: Ionische Flüssigkeiten (ILs) sind flüssige Salze, deren Eigenschaften durch die Veränderung einzelner ionischer Komponenten beeinflusst werden können. Als reaktive, anionische Bestandteile werden seit einiger Zeit auch so genannte Polyoxometallate (POMs) eingesetzt. Ein Vorteil der kombinierten POM-ILs: Durch chemische Veränderungen auf molekularer Ebene lassen sich Materialeigenschaften modifizieren. „Ergebnisse aus früheren Studien zu unlöslichen POM-Salzen lassen darauf schließen, dass POM-ILs vielversprechende Materialien für den Korrosionschutz sein könnten, die sich zudem leicht wieder entfernen lassen“, sagt Professor Streb. Diese Annahme wollten die Wissenschaftler im Experiment unter möglichst realitätsnahen Bedingungen überprüfen.
Um Umwelteinflüsse auf Metalle zu simulieren, haben die Forscher vier Kupferplättchen (Durchmesser je ein Zentimeter) in einer abgeschlossenen Kunststoffkammer 24 Stunden lang Essigsäuredämpfen ausgesetzt. Zuvor war eines der Plättchen mit der neu entwickelten Substanz POM-IL beschichtet worden und ein zweites mit konventionellem festem POM-Salz. Die weiteren Plättchen blieben unbeschichtet oder wurden mit einer frei verkäuflichen ionischen Flüssigkeit überzogen. Und siehe da: Nachdem die Platten abgespült worden waren, zeigte sich bei den Referenzproben, im Gegensatz zur POM-IL-beschichteten Platte, ein eindeutiger, korrosionsbedingter Masseverlust – bei der käuflichen ionischen Flüssigkeit von bis zu 25 Prozent.
Somit konnten die Forscher die Schutzwirkung der neuen Flüssigkeit erstmals belegen. „Unter dem Rasterelektronenmikroskop wurde dann sichtbar, dass POM-IL einen Film auf der Metalloberfläche bildet und das darunter liegende Kupfer von der Atmosphäre abschirmt – so ist Korrosion praktisch ausgeschlossen“, betont Sven Herrmann, inzwischen Doktorand an der Uni Ulm. Auch den Langzeittest unter „realen“ Bedingungen – die Proben wurden 24 Stunden lang mit wässriger Essigsäure beregnet – überstand das mit POM-IL beschichtete Kupferplättchen tadellos.
Aber was passiert, wenn die Schutzschicht durch äußere Einflüsse beschädigt wird? Um das herauszufinden, hat die Forschergruppe zwei Kupferplatten horizontal und vertikal mit einem Messer eingeschnitten. Eine Probe hatten sie zuvor mit POM-IL überzogen, die andere mit festem POM-Salz. Und tatsächlich breitete sich die von Sven Herrmann erstmals hergestellte Flüssigkeit binnen Sekunden gleichmäßig über die Metalloberfläche aus. Die Einschnitte wurden geschlossen, so dass die anschließende Beregnung mit Essigsäure der POM-IL-Probe kaum schadete. Im Gegensatz dazu waren die Kerben in der Referenzprobe Eintrittspforten für die wässrige Essigsäure, was zu erheblichen Korrosionsschäden führte. „POM-ILs haben sich als geeignete, preiswert herzustellende Materialien für den Korrosionsschutz erwiesen. Sie bieten einen chemischen und mechanischen Schutz von Kupfer gegenüber Essigsäure. Darüber hinaus lassen sie sich im Gegensatz zu Lacken und Farben problemlos wieder entfernen, was zum Beispiel für Anwendungen in der Elektronik wichtig ist“, fasst Carsten Streb zusammen. Gespräche mit interessierten Unternehmen hat er bereits geführt. Die Studie wurde übrigens vom Fonds der chemischen Industrie sowie den Universitäten Ulm und Erlangen-Nürnberg finanziert.
In Zukunft wollen sich die Forscher mit Schutzbeschichtungen für säureunbeständige Steine wie Marmor und Sandstein beschäftigen. Selbst wenn das Gestein bereits porös ist, könnte die Flüssigkeit POM-IL bestehende Löcher verschließen und als Säureschutz dienen. Mögliche Testobjekte gibt es in der unmittelbaren Umgebung genug – von Wasserspeiern am Ulmer Münster bis zur Bundesfestung.