Genauer als die beste Atomuhr
Der Atomkern als Taktgeber
Jede Uhr braucht eine möglichst konstante Schwingung, die den Takt angibt. Das kann die Schwingung eines Pendels sein, die Oszillation eines Kristalls in einer Quarzuhr – oder aber der Schwingungstakt des Lichts, das von Atomen absorbiert wird.
„Nach den Gesetzen der Quantenmechanik können sich die Elektronen eines Atoms nur in bestimmten Zuständen mit bestimmter Energie befinden“, erklärt Prof. Thorsten Schumm. Mit einem Laser, dessen Lichtfrequenz genau zur Energiedifferenz zwischen zwei solchen Niveaus passt, kann man ein Elektron vom tieferen in das höhere Energieniveau anheben. Danach fällt es wieder in den ursprünglichen Zustand zurück und sendet wieder Licht mit derselben Frequenz aus. Mit solchen Methoden kann man den Energieunterschied zwischen zwei Quantenzuständen extrem präzise messen und damit eine Frequenz sehr genau definieren. Die Sekunde ist heute als jene Periode definiert, in der das charakteristische Licht des Übergangs zwischen zwei Zuständen des Cäsium-Atoms genau 9.192.631.770mal schwingt.
Atomkern-Uhr statt Atomuhr
Alle bisherigen Atomuhren nutzen Übergänge in der Elektronenhülle des Atoms. Viel besser wäre es allerdings, statt der Elektronen im Atom den Atomkern selbst zu verwenden. Der Atomkern ist tausendmal kleiner als die Elektronenhülle und viel weniger anfällig für Störungen von außen. „In gewöhnlichen Atomuhren müssen die Atome mühsam gegen elektromagnetischen Feldern abgeschirmt werden, unsere Atomkern-Uhr wäre viel robuster“, sagt Thorsten Schumm. Die Thorium-Kerne muss man nicht einmal isoliert untersuchen, man kann sie sogar in Kristalle einbauen und wird noch immer dieselben Energiezustände messen. Für eine Atomkern-Uhr braucht man kein speziell präpariertes Labor, man könnte sie relativ kompakt bauen und dann beispielsweise in einem Satelliten ins All schießen, für die nächste Generation des Navigationssystems GPS.
„Das Problem dabei ist allerdings, dass die Übergänge zwischen Zuständen des Atomkerns meist auf einer ganz anderen Energieskala stattfinden“, erklärt Simon Stellmer (ebenfalls Atominstitut, TU Wien). Wenn Elektronen ihren Zustand ändern, entsteht typischerweise Licht im Bereich von einigen Elektronenvolt, bei Zuständen des Atomkerns können es auch mal 100.000 Elektronenvolt sein. Man braucht daher einen ganz besonderen Atomkern, der zwei Zustände aufweist, die beinahe dieselbe Energie haben.
Thorium-229
„Der beste Kandidat dafür ist Thorium-229, ein sehr seltenes Isotop, das nur künstlich hergestellt werden kann.“, sagt Thorsten Schumm. Weniger als ein Milligramm davon steht der Wissenschaft heute weltweit zur Verfügung. „Es gibt derzeit viele Hinweise darauf, dass der Kern von Thorium-229 einen angeregten Zustand besitzt, der bloß etwa 7 Elektronenvolt oberhalb des Grundzustands liegt.“ Für kernphysikalische Verhältnisse ist das eine winzige Energiedifferenz. Die Lebensdauer dieses Zustands ist extrem lang: Erst nach tausenden Sekunden kehrt der Atomkern vom angeregten Zustand wieder in den Grundzustand zurück – meist hat man es in der Quantenphysik mit Lebensdauern von winzigen Sekundenbruchteilen zu tun.
„Quantenphysikalisch ist die Lebensdauer mit der Präzision der Messung verknüpft“, sagt Simon Stellmer. „Je länger der angeregte Zustand lebt, umso präziser ist die Energie der dazugehörigen Strahlung definiert.“ Einerseits ist das sehr positiv: Das Licht, das dem Übergang zwischen den beiden Thorium-Kernzuständen entspricht, soll schließlich eine möglichst genau definierte Frequenz haben, damit man einen möglichst genauen Taktgeber für die Zeitmessung zur Verfügung hat. Allerdings ist damit auch ein großes Problem verbunden: Ebenso genau muss man nämlich die richtige Frequenz treffen, um den Übergang überhaupt zu finden.
Die Thorium-Nadel im Frequenz-Heuhaufen
„Es ist die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt Thorsten Schumm. „Man muss den Thoriumkern mit genau der richtigen Lichtfrequenz bestrahlen, dann absorbiert er die Strahlung, geht in den etwas höheren Energiezustand über, wechselt dann ein paar tausend Sekunden später wieder in den ursprünglichen Zustand zurück und sendet dabei wieder Licht aus, das wir messen können. Doch wegen der extrem hohen Genauigkeit, die man hier braucht, ist es sehr schwierig, den Übergang tatsächlich zu finden und seine exakte Frequenz zu bestimmen.“ Jede mögliche Frequenz auszuprobieren würde unüberschaubar lange dauern, daher arbeitet das Team an verschiedenen Möglichkeiten, der exakten Thoriumkern-Frequenz auf die Spur zu kommen.
„Wenn wir den gesuchten Kernübergang erst mal zweifelsfrei identifiziert haben, dann kann man eine ganze Menge damit machen“, ist Simon Stellmer sicher. „Alle nötigen Technologien zur technischen Nutzung dieses Phänomens sind mittlerweile verfügbar – grundsätzlich haben wir nun ein gutes Verständnis davon, was zu tun ist.“
Wie konstant sind die Naturkonstanten?
Wenn die Atomkern-Uhr erst funktioniert, wird es viele spannende Anwendungsmöglichkeiten geben. „Man wird damit nicht nur Zeit messen, man möchte auch überprüfen, ob die grundlegenden Konstanten der Physik wirklich konstant sind. Es gibt Theorien, die nahelegen, dass sich gewisse physikalische Größen, wie etwa die Stärke der elektromagnetischen Wechselwirkung, im Lauf der Zeit langsam verändern“, sagt Schumm. „Wenn sich herausstellt, dass sich die Naturkräfte über Milliarden Jahren wandeln, dann würde das unser Verständnis vom frühen Universum völlig umkrempeln.“ Atomkern-Uhren wären so empfindlich, dass man solche Veränderungen, sollte es sie tatsächlich geben, bereits im Lauf einiger Jahre messen könnte.
Hochdotierte EU-Förderung
Die Entwicklung der Atomkern-Uhr ist eine hochkomplexe Aufgabe, sie benötigt die besten experimentellen Techniken, Detektoren und Laser aus ganz unterschiedlichen Forschungsbereichen. Daher holte sich das Team der TU Wien noch eine ganze Reihe von Partnerorganisationen an Bord. Im Projekt „nuClock“, das von der TU Wien geleitet wird, werden in den nächsten vier Jahren nun auch Universitäten aus Deutschland und Finnland und ein Industriepartner mitarbeiten. Gefördert wird das Projekt mit vier Millionen Euro – als eines von bloß 24 Forschungsprojekten aus allen Fachbereichen in ganz Europa, die im Rahmen der FET-Open Ausschreibung des Wissenschafts-Förderprogramms Horizon 2020 finanziert werden. Weniger als 4% der eingereichten Projekte wurden akzeptiert, die Förderung gilt daher als große Auszeichnung.