Randeffekte in Quantensystem simuliert
Die Physik von Festkörpern gibt auch heute noch viele Rätsel auf. Neue Möglichkeiten ergeben sich durch Fortschritte in der experimentellen Quantenphysik. Insbesondere haben sich ultrakalte Atome, die in optischen Gittern gefangen und sehr gut kontrolliert werden können, als ideales Werkzeug für die Untersuchung von physikalischen Phänomenen in Festkörpern erwiesen.
Eines dieser Phänomene wird im Zusammenhang mit dem Quanten-Hall-Effekt beobachtet: Werden bestimmte Materialen einem starken Magnetfeld ausgesetzt, können Elektronen an den Rändern keine ungestörten Kreisbahnen durchlaufen, stoßen an den Rand und werden dort reflektiert. Dadurch beschreiben sie „hüpfende Umlaufbahnen“. Als makroskopische Konsequenz sind an den Rändern von Platten dieser Materialien sogenannte „chirale Ströme“ zu beobachten, die an den gegenüberliegenden Rändern in gegenläufige Richtungen fließen. „Man kann sich das wie einen Fluss vorstellen, in dem die Fische am einen Ufer nach rechts und am anderen Ufer nach links schwimmen“, beschreibt der Theoretiker Marcello Dalmonte aus der Arbeitsgruppe von Peter Zoller am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und am Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck das Phänomen.
Forscher lassen Atome hüpfen
Das Team um Peter Zoller hatte bereits vor zehn Jahren einen Vorschlag gemacht, wie chirale Ströme mit neutralen Atomen simuliert werden können. Diese Idee haben nun Physiker am European Laboratory for Nonlinear Spectroscopy (LENS) in Florenz gemeinsam mit den Innsbrucker Theoretikern aufgegriffen und umgesetzt. Die Wissenschaftler fangen dazu im Labor ein stark abgekühltes Gas aus Ytterbium-Atomen in einem aus Laserstrahlen gebildeten, optischen Gitter. Weil sich die Struktur von Platten im Experiment nur sehr schwer nachbilden lässt, haben die Physiker zu einem weiteren Trick gegriffen, den Forscher am Institute of Photonic Sciences in Barcelona entwickelt haben: Sie nutzen für ihre Messungen jeweils eindimensionale Ketten von Atomen und bilden die zweite Dimension synthetisch nach. Dazu verwenden sie zwei oder drei interne Zustände, in die die Atome mit Hilfe von Lasern versetzt werden. „Theoretisch gesprochen ist diese Springen in andere interne Zustände genau das Gleiche wie das geometrische Springen der Elektronen in den Randzonen eines Festkörpers“, erklärt Marcello Dalmonte.
Gemeinsam mit Marie Rider und Peter Zoller hat er theoretische Vorarbeiten für das Experiment geleistet und wichtige Hinweise gegeben, wie das Phänomen messtechnisch erfasst werden kann. Die Messergebnisse zeigen, dass sich die Teilchen auf einer Ebene mehrheitlich nach rechts und auf einer anderen Ebene mehrheitlich nach links bewegen. „Dieses Verhalten ist sehr ähnlich den aus der Festkörperphysik bekannten chiralen Strömen“, sagt Dalmonte. Mit der Simulation dieser exotischen Effekte eröffnen die Forscher die Möglichkeit zur Untersuchung neuer physikalischer Phänomene. So werden im Zusammenhang mit dem Quanten-Hall-Effekt zum Beispiel Anyonen intensiv erforscht. Diese exotischen Quasiteilchen werden auch als Grundlage für topologische Quantencomputer gehandelt.
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