Genaueste Vermessung von Neutronen
Neues Verfahren basiert auf Spin-Echo-Methode
PSI/Zema Chowdhuri
Minutenlang jegliche Störung ausgleichen
Schmidt-Wellenburg erklärt das Grundprinzip des Verfahrens mit der Analogie eines Wettlaufs durch unbekanntes Terrain: „Wir schicken Neutronen – ähnlich wie Läufer – mit einer Art Startschuss los. Nach einer bestimmten Zeit lassen wir sie mittels eines zweiten Signals umkehren.“ Wie ein Echo kehren die Neutronen dann alle zum Ausgangspunkt zurück. Die unterschiedliche Zeitverzögerung jedoch, mit der die einzelnen Neutronen zurückkommen, verrät den Forschenden etwas über die Beschaffenheit des Raums, den sie jeweils durchlaufen haben: „Würde bei gleich sportlichen Läufern einer später zurückkommen als die anderen, liesse sich ganz ähnlich darauf schliessen, dass es auf seiner Strecke mehr Hindernisse gab.“
Grundsätzlich ist die Spin-Echo-Methode nichts Neues. In der Medizin wird sie seit Jahrzehnten in der Magnetresonanztomographie genutzt, wo sie zur Bildgebung von Gewebe und Organen dient. Der Unterschied und damit die grosse Herausforderung für die neue Methode: Die hier verwendeten Neutronen sind extrem langsam und werden minutenlang beobachtet. Solche langsamen Neutronen nennt man auch ultrakalte Neutronen. Ihr Einsatz wiederum hat zur Folge, dass alle experimentellen Rahmenbedingungen über vergleichsweise lange Zeiträume von mehreren Minuten extrem stabil gehalten werden müssen. „Unter anderem müssen wir ständig jede noch so winzige Änderung des Magnetfeldes ausgleichen. Die kann beispielsweise schon dadurch zustande kommen, dass ein Lastwagen auf der nahegelegenen Landstrasse vorbeifährt“, veranschaulicht Schmidt-Wellenburg den Genauigkeitsgrad des Experiments.
Messungen mit der neuen Methode laufen bereits
All dies ist nötig, um das elektrische Dipolmoment des Neutrons genauer als bisher zu bestimmen. Das vorläufig letzte Experiment zur Vermessung dieser Grösse wurde im Jahr 2006 veröffentlicht. Jedoch ist das Ergebnis von damals noch zu ungenau, als dass sich daraus Schlüsse für die Entstehung des Universums ziehen lassen. Seither mangelte es an Methoden, die eine genauere Messung erlaubten. „Diese Lücke haben wir nun mit unserer adaptierten Spin-Echo-Methode für ultrakalte Neutronen geschlossen“, erklärt Schmidt-Wellenburg.
Die neue Spin-Echo-Methode mit ultrakalten Neutronen lässt sich daneben auch für andere fundamentale Messungen nutzen, beispielsweise zur genaueren Vermessung der Lebensdauer des Neutrons. „Ich wage zu behaupten, dass unsere neue Methode in den kommenden zwanzig Jahren in vielen Experimenten mit ultrakalten Neutronen benutzt werden wird“, so Schmidt-Wellenburg.
Originalveröffentlichung
S. Afach et al.; "Observation of gravitationally induced vertical striation of polarized ultracold neutrons by spin-echo spectroscopy"; Phys. Rew. Lett.; 2015