Massenormale der PTB für das neue Kilogramm sind einsatzbereit
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„Round and Ready“ heißt der Workshop der PTB – und das nicht ohne Grund. „Unsere ²⁸Si-Kugel ist fertig und alle geforderten Kriterien für die Neudefinition des Kilogramms sind erfüllt“, sagt Frank Härtig, Leiter der Abteilung für Mechanik und Akustik in der PTB. „Wir können jetzt damit beginnen, ähnliche Kugeln aus Silizium als Massenormale in der Welt zu verbreiten.“ Bei dem Workshop konnten sich die 82 Teilnehmer aus 44 Ländern mit den Kugeln vertraut machen – wie sie zu handhaben sind und wie sie als Massenormale fungieren können.
Bei den praktischen Übungen des Workshops ging es um die Reinigung, Lagerung, den Transport sowie das Handling der Kugeln. Angefangen beim richtigen Reinigungsmittel, denn dieses darf die Oberfläche nicht angreifen. Gleiches gilt für Reinigungstücher. Selbst die Behälter für die Reinigungslösung müssen aus einem bestimmten Material sein, damit sich keine Fremdstoffe über die Lösung auf der Kugel ablagern oder die Kugeloberfläche beschädigen. Und auch beim Wiegen darf die Auflage keinen Einfluss auf die Kugel haben. Wer eine Si-Kugel nutzt, braucht Fingerspitzengefühl. Nur bitte nicht im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Fingerabdruck ist nämlich schon deutlich größer als die Genauigkeit, mit der die Masse bestimmt wird. Glücklicherweise hat die PTB das Handling der Kugel über Jahre erprobt und perfektioniert. Ihr Wissen kann sie jetzt an die internationalen Partner weitergeben.
Einige Teilnehmer haben beim Workshop bereits Interesse an einer Si-Kugel als Massenormal geäußert. Wilson Ombati, Metrologe am Kenya Bureau of Standards, war von der einfachen Handhabung der Kugeln begeistert. Da er in Kenia an einem ähnlichen Projekt arbeitet, möchte er gerne eine Kugel erwerben, allerdings vorerst die günstigste Version – um den Umgang zu üben. „Eine Si-Kugel aus der PTB ist für uns besonders interessant, da sie wesentlich günstiger ist als beispielsweise der Aufbau einer Wattwaage“, gibt er zu bedenken. Von dem preiswerten Massenormal ist auch Shih Mean Lee vom National Metrology Centre in Singapur überzeugt. Der Workshop hat seine Erwartungen noch übertroffen. „Ich war überrascht, dass wir den gesamten Reinigungsvorgang selbst testen durften“, sagt er. Es sei eine gute Idee, das Wissen im Umgang mit den Si-Kugeln mit der Welt zu teilen. „So haben Kollegen aus aller Welt die Chance, hautnah mit den Kugeln zu arbeiten und die damit verbundenen Vorteile kennenzulernen.“ Lob gab es auch von der „Konkurrenz“, die versucht, die Planck-Konstante mittels einer Wattwaage zu bestimmen. Stephan Schlamminger, Leiter des Wattwaagen-Projekts am National Institute of Standards and Technology in den USA, würde sich freuen, eine Si-Kugel mit der Wattwaage zu wiegen. Bei so komplexen Experimenten wie der Wattwaage oder dem Avogadro-Projekt könne man leicht Fehler übersehen, sagt Schlamminger. „So können wir einen Konsistenz-Check für beide Experimente machen.“ Als Konkurrent sieht er sich dabei nicht. „Wir haben alle das gleiche Ziel; nur der Weg ist unterschiedlich.“ Ohnehin wird das Kilogramm nur neu definiert, wenn zwei unterschiedliche Experimente die Planck-Konstante mit ausreichender Genauigkeit bestimmen.
Sind die internationalen Partner im Messwesen von beiden Ansätzen überzeugt, steht der Neudefinition des Kilogramms und der Verbreitung der Si-Kugeln der PTB als Massenormal nichts mehr im Wege. Damit ginge die Ära des Ur-Kilogramm zu Ende. Dieses wird seit der Meterkonvention von 1889 von einem Platin-Iridium-Zylinder verkörpert, der vom Internationalen Büro für Maß und Gewicht (BIPM) in einem Tresor in Sèvres bei Paris aufbewahrt wird. Kopien davon wurden als nationale Kilogramm-Prototypen an die Unterzeichnerstaaten dieses Vertrages verteilt. Doch wie sich über die Jahre zeigte, verliert das Ur-Kilogramm an Masse. Warum das so ist, weiß keiner so genau. „Dieser unbefriedigende Zustand soll durch die Neudefinition beendet werden“, erklärt Härtig. „Hat man die sogenannte Planck-Konstante in Stein gemeißelt, kann jeder das Kilogramm berechnen und bestenfalls nachbauen.“ Auf dem langen Weg zur Planck-Konstante hat die PTB einen Umweg eingeschlagen – über die Avogadro-Konstante, welche die Anzahl der Atome in einem Mol angibt. Eigentlich würde diese zur Neudefinition des Kilogramms ausreichen. Es könnte als die Masse einer bestimmten Anzahl von Atomen eines bestimmten Isotops definiert werden. Doch die Forscher wollen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die Einheit der Stromstärke, das Ampere, soll künftig ebenfalls über eine Naturkonstante definiert werden – und zwar über die Ladung des Elektrons. Gelingt das, fehlt nur noch die Planck-Konstante, um die Einheiten Spannung und Widerstand daraus herzuleiten. Daher wollen die Masse-Metrologen ihren Kollegen die Planck-Konstante gleich mitliefern. Denn wie es der Zufall will, sind Avogadro- und Planck-Konstante über eine feste physikalische Relation miteinander verknüpft (molare Planck-Konstante). Ist eine Konstante mit ausreichender Genauigkeit bestimmt, lässt sich auch die andere berechnen. Um es einheitlich zu halten, hat man sich daher international auf die Planck-Konstante zur Neudefinition des Kilogramms geeinigt, was dann auch den Metrologen der Stromstärke nützt.
Während Stephan Schlammingers Team in den USA, Wissenschaftler in Kanada und anderen Ländern die Planck-Konstante mithilfe einer Wattwaage ermitteln wollen, gehen die deutschen Wissenschaftler den Weg über die Avogadro-Konstante. Dazu zählen sie die Atome in einer ²⁸Si-Kugel. Jedes Atom einzeln zu zählen, ist jedoch nicht möglich – und auch nicht nötig. Wer würde schon jedes Feld eines Schachbrettes zählen, um auf die Gesamtzahl der Felder zu kommen, wenn einfache Mathematik auch zum Ziel führt? Das geht natürlich auch in drei Dimensionen. Ähnlich gehen die Wissenschaftler der PTB beim Avogadro-Projekt vor. In einem nahezu perfekten Kristall, wie dem aufwendig gezüchteten ²⁸Silizium-Einkristall, aus dem die PTB ihre Si-Kugeln formt, sind die Atome regelmäßig im Kristallgitter angeordnet. Mittels Röntgenstrahlung lässt sich die Gitterstruktur sichtbar machen und das Atomvolumen bestimmen. In einem weiteren Schritt ermitteln die Wissenschaftler den Kugeldurchmesser. Dazu wird der Durchmesser der Kugel mit einem Kugelinterferometer an ihrer Oberfläche über eine Million Mal bestimmt. So lässt sich der gemittelte Durchmesser bis auf drei Atomdurchmesser genau bestimmen und das Volumen berechnen. Aus dem Verhältnis der beiden Volumina ergibt sich die Atomanzahl in der Kugel. In der PTB kann man das bereits so gut, dass sich die Wissenschaftler nur alle hundertmillionen Atome um ein bis zwei Atome verzählen. Durch all diese Messungen und Berechnungen wissen die Forscher, aus wie viel Mol Silizium ihre Kugel besteht und wie viele Atome in einem Mol stecken. Letzteres entspricht der Avogadro-Konstante.
Dank ihres Know-hows kann die PTB wesentlich stabilere Massenormale als das Ur-Kilogramm anbieten, die zur Not jederzeit neu hergestellt werden können. Neben dem „Rezept“ für ein neues Kilogramm sind dann die ²⁸Si-Kugeln das Maß aller Dinge. Drei qualitativ und preislich unterschiedliche Kugeln sollen künftig von der PTB angeboten werden, die von Metrologieinstituten und Kalibrierlaboratorien erworben werden können: Zum einen die fast isotopenreinen ²⁸Si-Kugeln und die sogenannten quasi-primären Normale aus Silizium mit natürlicher Isotopenzusammensetzung. Beide kann derzeit nur die PTB anfertigen. Zum anderen eine dritte Variante, ein Sekundärnormal, das kostengünstiger auch von der Industrie hergestellt werden kann. Diese Kugeln wären dann etwas weniger rund. „Auf der Ebene der Atome betrachtet, sind unsere Si-Kugeln fast perfekt; die Sekundärnormale sind im Vergleich eher Kartoffeln“, sagt Frank Härtig. Dennoch sind sie immer noch bestens geeignet, um den Waagen der Zukunft zu sagen, was ein Kilogramm ist.