Die Chemie braucht bessere Rahmenbedingungen für solides Wachstum

Halbjahresbilanz 2016 der chemisch-pharmazeutischen Industrie

26.07.2016 - Deutschland

Die Geschäfte der drittgrößten Branche in Deutschland laufen nicht rund. In den ersten sechs Monaten des Jahres stagnierte die Produktion in der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Der Umsatz verringerte sich im Vergleich zum Vorjahr deutlich: Durch den erneuten Rückgang der Erzeugerpreise sank der Erlös der Branche um 3,5 Prozent auf 90,4 Milliarden Euro. Davon waren Inlands- und Auslandsgeschäft gleichermaßen betroffen, berichtet der Verband der Chemischen Industrie (VCI) in seiner Halbjahresbilanz.

Statistisches Bundesamt, VCI

Kernindikatoren der chemischen Industrie in Deutschland

VCI-Präsident Marijn Dekkers sagte zur wirtschaftlichen Entwicklung der Branche: „Der Chemie fehlen positive Impulse – wirtschaftlich wie politisch. Gleichzeitig mehren sich die negativen Faktoren wie die Wachstumsschwäche in den Schwellenländern, eine geringe Dynamik des gesamten Welthandels und das Ende des globalen Investitionsbooms.“ Auch für die zweite Hälfte des Jahres erwartet der VCI-Präsident Gegenwind für die Chemiekonjunktur. Die Sonderfaktoren niedriger Ölpreis und schwacher Euro ließen in ihrer positiven Wirkung nach. „Zudem sind der Brexit sowie große Schwankungen bei Rohstoffpreisen und Wechselkursen schlechte Rahmenbedingungen für ein solides Wachstum unserer Branche“, erklärte Dekkers.

Für das Gesamtjahr 2016 rechnet der VCI daher nur mit einem Produktionsplus von 0,5 Prozent für die chemisch-pharmazeutische Industrie. Bei weiter sinkenden Erzeugerpreisen dürfte der Branchenumsatz um 1,5 Prozent auf 186 Milliarden Euro zurückgehen, so die Prognose des Verbandes.

Wettbewerbsfähigkeit des Chemiestandortes bedroht

Auch wenn Deutschland in Sachen Chemie seit rund einer Dekade Exportweltmeister ist und auf Platz drei der umsatzstärksten Nationen steht, mehren sich die Anzeichen, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes bröckelt. Denn die strukturellen Veränderungen in den USA, China und Saudi-Arabien, die dort zu niedrigen Energie- und Rohstoffkosten sowie einem massiven Aufbau von Produktionskapazitäten geführt haben, wirken bis ins Herz Europas. „Ein Blick auf die verschiedenen Sparten zeigt, wie akut das Problem in unserer Branche bereits ist“, betonte Dekkers.

Rechnet man das Pharmageschäft heraus, ist der Außenhandelsüberschuss der deutschen Chemie inzwischen rückläufig. In der Sparte Petrochemie gab es 2015 sogar ein Außenhandelsdefizit. Auch beim Geschäft mit Kunststoffen (Polymeren) droht sich die Handelsbilanz zu verschlechtern. Die Produktion von Polymeren in Deutschland ist seit 2011 um 500.000 Tonnen gesunken. In den Wertschöpfungs-ketten potenziert sich dieser Effekt. Die Menge der entsprechenden Vorprodukte (Petrochemikalien) ist im selben Zeitraum um 4 Millionen Tonnen geschrumpft (-6 Prozent). VCI-Präsident Dekkers: „Wir müssen unbedingt vermeiden, dass die chemischen Wertschöpfungsketten in einzelnen Segmenten reißen. Es liegt im Interesse nachgelagerter Industriezweige wie Fahrzeugbau und Elektro und der gesamten Wirtschaft, dass wir diese Ketten als zentrales Element des Chemiestandortes Deutschland erhalten.“

Auch bei den Investitionen der Branche in Produktionsanlagen zeigt sich eine beunruhigende Entwicklung. Obwohl die Finanzierungsbedingungen so günstig sind wie seit Jahrzehnten nicht mehr, investieren die Unternehmen im Inland eher zurückhaltend. Die Schere zwischen Investitionen im Inland und im Ausland öffnet sich seit 2011 zunehmend. Zuletzt investierten deutsche Chemieunternehmen mit gut 8,6 Milliarden Euro rund 1,5 Milliarden mehr in ausländische Sachanlagen als hierzulande. Die schwindende Attraktivität Deutschlands als Standort für Chemieanlagen führt der VCI-Präsident auf eine Reihe von Faktoren zurück: hohe Energiekosten, fehlende Planungssicherheit in der Energiepolitik, vernachlässigte Infrastruktur und eine industriekritische Verwaltungspraxis. „Die chemische Industrie braucht unbedingt bessere Rahmenbedingungen für Investitionen. Das heißt: verlässliche politische Vorgaben und konkurrenzfähige Kosten“, betonte Dekkers.

Für eine innovationsfreundlichere Politik

Trotz vieler Einzelprobleme liegt der Schlüssel zu mehr Wettbewerbsfähigkeit aus Sicht des VCI in der Verbesserung der Innovationsfähigkeit. „Wir brauchen mehr Innovationen, um Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung dauerhaft zu sichern – in Deutschland, aber auch in ganz Europa.“ Der zunehmende Wettbewerb erfordere dabei nicht nur Investitionen in moderne Sachanlagen, sondern auch immer mehr innovative Produkte und Produktionsverfahren sowie neue Geschäftsmodelle. Dem stünden noch zu viele Hürden in den Unternehmen im Weg, um Ideen aus dem Labor schnell und erfolgreich auf den Markt zu bringen.

Gleichzeitig bremsten externe Hemmnisse im Verantwortungsbereich von Politik und Behörden, wie etwa zu viel Bürokratie und Regulierung oder die fehlende steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung, die Innovationsfähigkeit aus. Auf nationaler Ebene plädierte der VCI-Präsident daher für einen „Innovations-Check“, mit dem vor der Verabschiedung eines Gesetzes geprüft werden könne, ob die Regulierung innovations- und verbraucherfreundlich ausfalle. Hinsichtlich der europäischen Gesetzgebung sprach sich Dekkers für die Einführung eines Innovationsprinzips aus.

Dekkers‘ Fazit: „Aus eigener Kraft kann die Wirtschaft Deutschland nicht zum Innovationsweltmeister machen. Wir brauchen die Unterstützung durch die Politik. Wir müssen gemeinsam an einem Strang ziehen und auch für ein gutes gesellschaftliches Umfeld sorgen: für eine Innovationskultur, die Offenheit und Neugier mit Mut und Zuversicht verbindet, damit Ideen auch tatsächlich zu Innovationen werden.“

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