Ultrakalte Atome im „Rydberg-Kleid“

Wissenschaftler haben eine neue Methode entwickelt, Atome über große Distanzen miteinander wechselwirken zu lassen

12.08.2016 - Deutschland

Viele Eigenschaften der Alltagswelt lassen sich erklären, wenn man sich Atome als kleine, feste Kugeln oder Murmeln vorstellt, die sich nur spüren, wenn sie in direkte Berührung miteinander kommen. So ist zum Beispiel die Temperatur der uns umgebenden Raumluft das Ergebnis unzähliger, ständig ablaufender Kollisionen zwischen ihren Bestandteilen. Im Gegensatz dazu kennen wir aber auch Effekte, die sich aus dem Zusammenspiel zweier weit voneinander entfernter Gegenstände ergeben. Bekannte Beispiele dafür sind zwei Magneten, die sich auch in einiger Entfernung beeinflussen können, oder auch die durch elektrische Anziehung hervorgerufene Bildung eines Salzkristalles als regelmäßige Anordnung von positiv geladenen Natrium- und negativ geladenen Chlor-Ionen.

MPQ, Quantum Many-Body Systems Division

Abb. 1: Aus dem dicht mit Atomen gefüllten Startzustand (links) bildet sich durch die weit reichende Wechselwirkung eine Ringstruktur aus (rechts).

MPQ, Quantum Many-Body Systems Division

Abb. 2: Die Art der Wechselwirkung lässt sich durch Licht kontrollieren, von winkelunabhängig (links und Mitte) zu winkelabhängig (rechts).

MPQ, Quantum Many-Body Systems Division
MPQ, Quantum Many-Body Systems Division

In der mikroskopischen Quantenwelt sind solche Beeinflussungen auf Distanz von besonderem Interesse, da sie grundlegende, bereits bekannte Phänomene wie die Bildung von geordneten Kristallen bewirken, aber auch neuartige, bisher nicht erforschte Zustände von Materie versprechen. Darüber hinaus lassen sich solche langreichweitig wechselwirkenden Systeme auf fundamentaler Ebene theoretisch nur sehr schwer beschreiben, weshalb experimentellen Untersuchungen eine umso größere Bedeutung zukommt.

Nun hat ein Forscherteam um Dr. Christian Groß und Prof. Immanuel Bloch (MPQ Garching) in Zusammenarbeit mit Dr. Thomas Pohl (MPIPKS Dresden) eine neue Methode entwickelt, Atome über große Distanzen miteinander wechselwirken zu lassen. Kernelement ihrer Methode ist das sogenannte „Rydberg-dressing“, bei dem die fundamentale Eigenschaft der Quantenmechanik ausgenutzt wird, dass sich ein Quantenobjekt in zwei verschiedenen Zuständen gleichzeitig befinden kann. Zur Veranschaulichung dieses Phänomens wird gerne die von dem theoretischen Physiker Erwin Schrödinger ersonnene Katze heran gezogen, die sich in einer abgeschlossenen Kiste in einer Überlagerung der Zustände „tot“ und „lebendig“ befindet. Auch im vorliegenden Experiment werden Atome in eine Überlagerung aus zwei Zuständen gebracht. „Der Trick bestand darin, neben dem energetisch niedrigsten Zustand einen hochangeregten „Rydberg-Zustand“ zu wählen“, erklärt Johannes Zeiher, Doktorand am Experiment. „Diese exotischen Zustände zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass der Durchmesser der Atome auf das ca. 1000 fache anwächst. Deshalb können sich Rydberg-Atome über große Distanzen beeinflussen.“ Der Haken dabei ist jedoch, dass Rydberg-Atome instabil sind und in sehr kurzer Zeit zerfallen. Doch auch diese Hürde umgehen die Wissenschaftler, indem sie die Überlagerung so einstellen, dass sich ein Atom nur mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit im Rydberg-Zustand befindet. „Gewissermaßen erhält jedes Atom nur ein sehr dünnes „Rydberg-Kleid“, das von anderen, weit entfernten Atomen aber trotzdem wahrgenommen wird und diese auf Distanz beeinflussen kann“, erklärt Christian Groß, Leiter des Experimentes.

In ihrem Experiment erzeugten die Physiker zunächst mittels Laserkühlung ein ultrakaltes Gas aus Atomen des Alkali-Metalls Rubidium-87. Aus diesem Gas wurden ca. 200 Atome in ein sogenanntes optisches Gitter überführt, eine periodische Anordnung kleiner Lichtfallen, die aus der Überlagerung mehrerer Lichtstrahlen entsteht. Innerhalb einer Ebene ist jede dieser mikroskopisch kleinen Lichtfallen so dimensioniert, dass sie genau ein Atom aufnehmen kann. Die resultierende Ordnung der Atome lieferte einen gut kontrollierten Startzustand für den nächsten, entscheidenden Schritt: der Erzeugung des Rydberg-dressing durch Bestrahlung der Atome mit hochintensivem ultraviolettem Laser-Licht. In diesem aus Licht gewobenen „Rydberg-Kleid“ begannen die Atome, sich auf die Distanz zu spüren und sich gegenseitig zu beeinflussen, ähnlich wie sich die Pole von zwei Magneten in der Alltagswelt abstoßen oder anziehen können. Ein entscheidender Unterschied im mikroskopischen System ist allerdings die Möglichkeit, diese Wechselwirkung durch das An- und Ausschalten des ultravioletten Lasers zu kontrollieren.

Für den Nachweis der so erzeugten langreichweitigen Wechselwirkungen wählten die Experimentatoren eine interferometrische Technik, die eine besonders empfindliche Vermessung des Systems zulässt. Dabei werden die „bekleideten Atome“, bei denen dem Grundzustand der Rydberg-Zustand überlagert ist, mit gewöhnlichen Atomen verglichen. Die gegenseitige Anziehung oder Abstoßung der Rydberg-Atome hinterlässt charakteristische Spuren im Interferenzmuster. Diese können die Physiker nachweisen, indem sie die Atome mittels eines sehr guten Fluoreszenz-Mikroskops einzeln in den Lichtfallen abbilden.

In einem ersten Experiment gelang der direkte Nachweis, dass sich die Atome über große Distanzen wahrnehmen. Infolgedessen wird das Verhalten jedes Atoms von allen seinen Nachbarn mitbestimmt. Abbildung 1 zeigt sowohl die Anfangsverteilung der ca. 200 Atome, die eine Scheibe gleichmäßig ausfüllen, als auch das sich ergebende Interferenzmuster für die Atome in Überlagerung mit dem Rydberg-Zustand. Der Rand des Systems tritt als Ringstruktur besonders hervor, weil den Atomen dort nach außen jeweils die Nachbarn fehlen.

Durch eine tiefere Analyse der Strukturen in den Interferenzmustern wurde die Wechselwirkung genauer vermessen und charakterisiert. Die Experimente bestätigten dabei mit großer Genauigkeit die theoretischen Vorhersagen. Ein besonders interessanter Effekt ist, dass mithilfe des Lichtes auch eine winkelabhängige Wechselwirkung erzeugt werden kann (Abbildung 2). Das bedeutet, dass sich zwei nebeneinander liegende Atome unterschiedlich wahrnehmen, je nachdem, ob sie z.B. von links nach rechts oder senkrecht dazu aufeinander folgen.

„Auch dieses Phänomen lässt sich auf makroskopischer Ebene bei zwei Magneten beobachten, die sich unterschiedlich stark abstoßen oder anziehen, je nachdem ob man sie neben- oder voreinander anordnet“, so Christian Groß. Bei Natrium- und Chlorid-Ionen hingegen liegt der Kristallbildung eine winkelunabhängige Wechselwirkung zugrunde. Diese einfachere Art der Wechselwirkung konnten die Physiker ebenfalls mit Laserstrahlen gezielt einstellen (Abbildung 2).

Den Forschungsgruppen um Immanuel Bloch, Christian Groß und Thomas Pohl ist es gelungen, eine neuartige Form der Wechselwirkung zwischen zwei Atomen zu induzieren und zu charakterisieren. Die Kontrolle über diese Wechselwirkung mithilfe von Licht öffnet die Tür zur Erforschung mikroskopischer Systeme, in denen Atome wie kleine Magnete wirken und miteinander über weite Entfernungen wechselwirken. Solche Systeme versprechen die Untersuchung einer großen Vielfalt spannender Phänomene, zum Beispiel auch eines bisher nicht experimentell nachgewiesenen „Super-Festkörpers“, der fest und flüssig zugleich ist.

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