Es wird wärmer: Annäherung an unbekannte Materie

Kieler Physiker erreichen erstmals exakte Simulationen der warmen dichten Materie

13.10.2016 - Deutschland

Auf der Erde kommt dieser Zustand auf natürliche Weise gar nicht vor, dennoch ist er in der Plasmaphysik und der Materialwissenschaft aktuell ein „heißes Thema“: warme dichte Materie. Seine besonderen Eigenschaften machen es extrem schwierig, den Materiezustand experimentell oder mit theoretischen Modellen zu untersuchen. Ein Forscherteam der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat jetzt zusammen mit Kollegen vom Los Alamos National Laboratory (USA) und dem Imperial College London einen Weg gefunden, genaue Simulationen der warmen dichten Materie vorzunehmen. Sie könnten in Zukunft dabei helfen, zentrale Fragen der Astrophysik zu beantworten oder wichtige Erkenntnisse für neue Verfahren der Energiegewinnung zu gewinnen.

Tausendmal dichter als gewöhnliche Festkörper und zehntausendmal wärmer als die Raumtemperatur – die warme dichte Materie unterscheidet sich komplett von den auf der Erde vorkommenden festen, flüssigen oder gasförmigen Aggregatzuständen oder von Plasmen. Während sie im Kern von Riesenplaneten oder in Sternatmosphären in natürlicher Form existiert, kann sie auf der Erde nur künstlich im Labor über Kompression durch intensive Laserstrahlung hergestellt werden. Unter diesen extremen Bedingungen besteht ein komplizierter Zusammenhang zwischen Temperatur- und Quanteneffekten sowie zu der elektrischen Wechselwirkung der geladenen Teilchen. Dies macht die Simulation dieses Materiezustandes besonders aufwändig und die Untersuchung seiner physikalischen Eigenschaften zu einer großen Herausforderung. „Wenn wir mehr über die warme dichte Materie wissen, hilft uns das bei der Klärung von fundamentalen Fragen der Astrophysik – zum Beispiel bei der Bestimmung des Alters von Sternen, ihrer chemischen Zusammensetzung oder ihrer Wärmeleitfähigkeit“, sagt Michael Bonitz, Professor für Theoretische Physik an der CAU und Leiter des Forschungsteams. Außerdem sind genaue Informationen über die warme dichte Materie entscheidend für künftige technische Anwendungen, wie etwa die Energiegewinnung durch die sogenannte Trägheitsfusion.

Theoretische Modelle, die bisher in der Forschung genutzt wurden, um warme dichte Materie zu beschreiben, lieferten nur unsichere Ergebnisse. Computersimulationen erwiesen sich als so aufwändig, dass sie nur für sehr kleine Systeme aus sehr wenigen Teilchen praktikabel waren. Die Kieler Wissenschaftler wählten einen anderen Ansatz und entwickelten stattdessen zwei einzelne, sich ergänzende Simulationstechniken, mit denen sie sehr viel genauer Daten berechnen können. In einem zweiten Schritt entdeckten sie jetzt eine Lösung, die es ihnen ermöglicht, die Simulationsergebnisse für kleine Systeme sehr genau auf beliebig große Systeme zu übertragen, wodurch erstmals ein direkter Vergleich mit realistischen experimentellen Systemen möglich wird. Die dafür benötigten, aufwändigen Berechnungen erforderten den Einsatz von Supercomputern mit besonders hoher Rechenleistung. „Wenn man alle diese Rechnungen nacheinander auf nur einem Rechner vornehmen würde, müsste dieser 200 Jahre am Stück arbeiten“, so Bonitz. Mit ihren neuen Erkenntnissen liegen nun zum ersten Mal exakte Daten für die thermodynamischen Eigenschaften der Elektronen in warmer dichter Materie vor. Laut Bonitz „ein entscheidender Beitrag für zukünftige Forschungen über warme dichte Materie“.

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